Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Verdichtung

Nicht nur seine Kunst, seine ganze Existenz stand für ihn unter dem Signum des Experiments: Carlfriedrich Claus (1930-1998) verbrachte beinahe sein gesamtes Leben in der dunklen, feuchten, elterlichen Wohnung im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz und lebte dort ganz seinem vielgestaltigen, zwischen Literatur und bildender Kunst angesiedeltem Werk. Auf seinen Sprachblättern, teilweise auf beidseitig beschriebenen transparenten Papieren, entwickelte er eine eigenwillige Form von skripturaler Poesie, im Graubereich zwischen Schrift und Zeichnung, Lesbarkeit und Unlesbarkeit. Isoliert war Claus in seiner Annaberger Klause jedoch nicht: Er korrespondierte mit Künstlern und Philosophen wie Ernst Bloch und Franz Mon, stellte seit Anfang der sechziger Jahre im Westen aus, viel später erst in der DDR.

Ein Geistesverwandter von Carlfriedrich Claus ist der gleichaltrige, ebenfalls im Erzgebirge geborene Komponist Paul-Heinz-Dittrich. Er besuchte Claus häufig in Annaberg und sah bald Parallelen zwischen den Sprachblättern mit ihren vielfältigen Schichtungen und seinen Kompositionen. Dittrich widmete dem Künstlerfreund bereits in den siebziger Jahren ein Ensemblestück und hat anläßlich der großen Claus-Ausstellung letztes Jahr in Chemnitz eine Hommage für Klavier, Klarinette und Violoncello geschrieben. Das Trio ist am 12. Oktober in der Akademie der Künste zum ersten Mal in Berlin zu hören, im Rahmen einer Veranstaltung, die Korrespondenzen zwischen der Musik Dittrichs und den skripturalen Arbeiten von Carlfriedrich Claus nachspüren will.

Claus selbst wird in einer Videoaufzeichnung zu Wort kommen, der Freund und Verleger Gerhard Wolf wird sich mit Paul-Heinz Dittrich unterhalten, der die Anregung durch Claus so beschreibt: „Der Einfluß der sprachlichen Verdichtung bei Carlfriedrich Claus führt zur Komplexität der Strukturen in meinen Kompositionen."

hb

„Kulturelle Dialoge: Versuch einer Annäherung an Carlfriedrich Claus", am 12. Oktober um 19 Uhr im Plenarsaal der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Mitte, Eintritt 12 Euro, ermäßigt 6

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 08 - 2006 © scheinschlag 2006