Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kleinstpartikel und andere Wesen

Wie die Splitterparteien bei der Berliner Wahl abgeschnitten haben

Alle Welt – oder zumindest die versammelte Presselandschaft – interessiert sich nach der Abgeordnetenhauswahl für Die Grauen, weil sie – viele Jahre lang belächelt – nun der 5-Prozent-Hürde ungeahnt nahegekommen sind und damit auch die WASG überboten haben. Derweil halluzinieren NPDler ob ihrer Stimmzuwächse bereits eine „nationale Achse Dresden-Berlin-Schwerin" herbei, von der aus man „eine nationale Welle über das Land schwappen" lasse.

Nichtsdestotrotz wird sich bei den Grauen, der WASG und der NPD in den kommenden Jahren zeigen, wie sie ihre neu errungenen BVV-Sitze nutzen werden, um hierzulande in die parlamentarische Welt Eingang zu finden ­ um sich öffentlich zu blamieren oder langsam wieder von der Bildfläche zu verschwinden. So wie die Republikaner, die sich seit Jahren auf dem Rückzug befinden: Erneut haben sich ihre Stimmzahlen halbiert.

Was ist aber mit jenen Parteien, die noch ganz unten stehen, deren Ergebnisse sich besser in absoluten Zahlen als in Prozent-, nein: Promillewerten angeben lassen? Denn hier gibt es geradezu dramatische Zuwächse zu verzeichnen: Läßt man alle bereits genannten Parteien beiseite, so hat sich der Anteil der Kleinparteien an den abgegebenen Zweitstimmen zur Abgeordnetenhauswahl von 1,3 auf 5,6 Prozent vervierfacht. Wenn das so weitergeht, müssen wir dann in zehn Jahren auf Landesebene mit einer Koalition aus Kulturpartei, Offensive D und Neuem Forum rechnen?

Ganz unten, soviel ist klar, steht eine Partei, der dies gar nichts anhaben kann: Im Internetforum der Überpartei (ÜPD) freute man sich bereits überschwenglich über jene 181 Stimmen, die man bei der BVV-Wahl in einem Wahlkreis in Prenzlauer Berg erreicht hatte: „Die Letzten werden die Ersten sein!"

Ähnlich gewiß ist man sich bei der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, kurz: BüSo. Man habe zwar nur 2300 Zweitstimmen erhalten, doch würde die halbe Million verteilter Flugblätter den Berlinern schon noch klarmachen, was die „Überlebensfrage" Berlins sei: die Reindustrialisierung. Die angeblich sektenähnliche Organisation, der immer wieder antisemitische Haltungen vorgeworfen werden, war mal wieder mit ihrem Kernprojekt, der aus Transrapidstrecken wiederauferstandenen Seidenstraße, hausieren gegangen.

Nahezu gleich abgeschnitten hat die AGFG, und ähnlich skurril scheint dieAllianz für Gesundheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit auch zu sein. Die Partei beschäftigt sich hauptsächlich mit dem „Pharmakartell", das einfachste Heilmethoden gegen AIDS, Krebs und Vogelgrippe verhindere und das es daher zu brechen gelte. So verwundert es nicht, daß die AGFG aus der Werbeorganisation des angeblichen Alternativheilers Dr. Rath hervorgegangen ist. Da dessen Medikamente hierzulande nicht zugelassen sind, darf er nicht direkt für sie werben. Einer Partei darf jedoch Werbung nicht so einfach versagt werden.

Einer Art Kartell sieht sich auch die Partei Rechtstaatlicher Offensive ausgesetzt. Sie macht nämlich „die Macht der Medien", durch die sie „totgeschwiegen" worden sei, für ihr unbefriedigendes Abschneiden verantwortlich: Gut 1800 Zweitstimmen hatte die Offensive D, wie sich die Partei auch nennt, bekommen.

Vielleicht sollten sich die Rechtsstaatler ein Beispiel an der Humanwirtschaftspartei nehmen, die bereits 1400 Stimmen einen Erfolg nennt. Hier werden Stimmen noch als einzelne Menschen betrachtet, die man im Wahlkampf mit Argumenten überzeugt habe. Die Humanwirtschaftspartei sieht als Kernübel der heutigen Wirtschaft die „Herrschaft des Geldes" an, die durch ein alternatives Währungssystem und eine grundlegende Umstrukturierung des Parlamentarismus gelöst werden könne. Immerhin hat uns diese Partei damit beglückt, daß sie die Stadt nicht mit Plakaten verschandelt hat, sondern ausschließlich per Infostand und Straßentheater präsent war.

Ganz anders dagegen die Tierschutzpartei, die uns mit abschreckenden Bildern von Tierversuchen gequält hat. Aber immerhin ist diese Partei eine ganz große unter den Kleinen: Fast 12000 Zweitstimmen hat sie erhalten, womit sie dem Promillebereich schon beinahe entkommen ist. Und das ist für eine Organisation echter Überzeugungstäter, die u.a. den Geist des Veganismus verbreiten wollen, schon ein beeindruckendes Ergebnis.

Eine ungewöhnliche Art von Basisgründung legte die Bildungspartei hin: Sie wurde vor einem guten halben Jahr von Mitgliedern des Berliner Landeselternausschusses und weiteren Elternvertretern gegründet, um eine themenspezifische Lobby für Eltern und Schüler im Abgeordnetenhaus zu schaffen. Nicht verwechselt werden sollte sie mit der Elternpartei, die ­ womöglich ob des ansprechenderen Namens ­ deutlich mehr Stimmen erhielt als die Bildungspartei. Wenn auch nicht mit dem Wahlergebnis, so war man dort doch zufrieden damit, im Wahlkampf mitgemischt und das Thema Bildung forciert zu haben. In öffentlichen Diskussionsrunden habe man den Parteienvertretern der großen Parteien auf den Zahn fühlen und sie gelegentlich bloßstellen können. Man fühle sich nun bestätigt durch die aktuelle Rede des Bundespräsidenten, sagte ein Vertreter der Bildungspartei.

Bestätigung von derart höchster Stelle wird die Bergpartei sicherlich weder erhalten noch wollen. Mit ihren handgedruckten Plakaten und offensiven Sprüchen à la „Wachstum als Holzweg" war die Bergpartei ein echtes Highlight im ansonsten reichlich einfallslosen und dumpf daherkommenden Berliner Wahlkampf. Die Partei „B" war in vier einzelnen Wahlkreisen in Mitte, Friedrichshain, Treptow und Pankow ausschließlich mit Direktkandidaten zum Abgeordnetenhaus angetreten. So ersparte man es sich, womöglich tatsächlich Mandate zu erhalten. Belohnt wurden die Kandidaten nicht nur mit bis zu 6,5 Prozent der Stimmen im jeweiligen Wahlkreis, sondern auch durch direkten Zuspruch: „Mich haben wirklich wildfremde Menschen umarmt" ­ weil sie sich so über die Plakate gefreut hätten, so einer der Kandidaten.

Letztendlich schaffte es jedoch keine der genannten Kleinstparteien, mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, als die Partei der Ungültig-Wähler: Diese hatte ihren Stimmanteil im Vergleich zu 2001 ebenfalls drastisch erhöht, von 1,3 auf 2,0 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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