Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zerbröckelt an der Ignoranz des Westens

Ein Dokumentarfilmer auf den Spuren der zerstörten „Giant Buddhas" in Afghanistan

Steinig sind die Höhlen, in denen noch Menschen lebten, bevor die Taliban 2001 die 1500 Jahre alten Buddha-Statuen in Afghanistan innerhalb einer Woche zu Staub werden ließen. Steinig ist auch der Weg zur Wahrheit, auf den sich der schweizerische Dokumentarfilmer Christian Frei begibt.

Nur kulturelle Importgüter wären die Buddha-Statuen in Afghanistan für Goethe gewesen: „leblose Ungeheuer", die in körperlicher Schwerstarbeit bloß nachgebildet und somit künstlerisch wertlos seien. Mit diesem Zitat aus dem Off beginnt der Regisseur seinen essayistischen Reisebericht und formuliert die These, nach der sich Kultur und Religion eines Landes auf die internationale Anerkennung auswirkten, wobei es der Glaube sei, der die Menschen und Kulturen gleichermaßen trenne und verbinde.

Frei folgt den Spuren des buddhistischen Wandermönchs Xuanzang aus China. Dessen detailreiche Tagebuchaufzeichnungen aus dem 7. Jahrhundert bilden die größte narrative Klammer. Den Aufzeichnungen zufolge soll es einen dritten, 300 Meter langen Buddha geben, der unter der Erde schlummert. Der französische Archäologe Zémarylaï Tarzi hofft ihn zu finden, aber er stößt nur auf Brocken in einem Land, das „einer ausgepreßten Zitrone" gleiche. Denn Afghanistan leide, so Tarzi, wie kein anderes Land unter dem fortgesetzten Raub seiner Kunstschätze, der bis heute mehr floriere als das Drogengeschäft. „Eine Nation überlebt, solange ihre Kultur besteht", mahnt eine erhaltengebliebene Felseninschrift im Bamiyan-Tal. Hier in den Höhlen an der Seidenstraße hatten früher Mönche ihre Gebetshallen, und bis zur Vernichtung der Statuen lebten dort Menschen. Ein Mann, der in eine kalte Hütte umsiedeln mußte, weil seine Höhle nicht mehr bewohnbar ist, berichtet, daß auch er stolz auf das buddhistische Erbe sei.

Kameramann Peter Indergand, der auch schon an War Photographer beteiligt war, gelingt es hierbei, die primitiven Lebensumstände ästhetisch ins Bild zu setzen. Die Spurensuche wird durch Bodenaufnahmen per Handkamera von steinigen Wegen und Schluchten nachgezeichnet. Mit seinen märchenhaften Landschaftsaufnahmen nötigt er dem Zuschauer Interesse für Afghanistan geradezu ab.

Einen längeren Abstecher macht Frei in das moderne China. In Leshan kommt er der Wahrheit nur langsam auf die Schliche. Er muß erfahren, daß eine der Buddha-Figuren, die einst im afghanischen Bamiyan-Tal thronten, als Kommerzobjekt und Touristenattraktion adaptiert wird und entlarvt dieses Projekt als verlogen. Insgesamt bleibt der Film aber eine zwar gut recherchierte, jedoch eher unkritische Dokumentation, die beobachtet statt wachzurütteln. Denn die sich aufdrängende Frage nach einem Zusammenhang zwischen der durch die Taliban befohlenen Kulturzerstörung und dem sechs Monate später erfolgten Angriff auf die Twin Towers wird nicht gestellt. Der Regisseur spricht sich zwar gegen Dogmen und Engstirnigkeit, gegen das Taliban-Regime aus, jedoch wäre es interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren.

Die mangelnde internationale Anerkennung Afghanistans und die Embargopolitik der UNO seien der Grund für die Sprengung gewesen, so der Al-Dschasira-Journalist Taysir Alony, den Frei unkommentiert zu Wort kommen läßt. Demnach läge die Verantwortung außerhalb Afghanistans: „Die Taliban wollten mit dieser Aktion der Welt ins Gesicht spucken." Die Buddha-Statuen seien an der Ignoranz des Westens zerbröckelt. Es sei Sensa-tionslust gewesen, die ihn seine Angst, die zweiwöchige Sprengung heimlich zu filmen, genommen habe, sagt Alony. Sehr glaubwürdig klingt das jedoch nicht. Denn es ist bekannt, daß er gute Kontakte zu den Taliban pflegt. Er wurde zudem noch während der Dreharbeiten im Juli 2005 verhaftet, weil er Geld für die Al-Qaida nach Afganistan gebracht haben soll, und wartet in Madrid auf seinen Prozeß. Im Film wird das nicht erwähnt.

Abschließend wirft Frei einen Blick ins eigene Land, die Schweiz. Dort ver-sucht man mit Hilfe von dreidimensionalen Computergrafiken, zumindest die größte der Statuen zu rekonstruieren.

Katrin Rösler

„The Giant Buddhas" von Christian Frei läuft seit 17. August in den Berliner Kinos

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