Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zusammenhalten gegen Schlösserklau

Der Hauseigentümer der Brunnenstraße 183 mag keine verschließbaren Türen

Die Sommerhitze hatte sich bereits verflüchtigt, als den Bewohnern der Brunnenstraße 183 von ihrem Eigentümer eine neue Lüftung verpaßt wurde. Unter Polizeischutz drang Manfred Kronawitter in das Haus ein und ließ die Schließanlagen der Hofeinfahrt und der Treppenaufgänge entfernen. Nun stehen alle Türen offen, und da man als Hausgemeinschaft nicht in separaten Wohnungen lebt, ist es doch etwas zugig geworden. Auch zwei Laptops und diverses Werkzeug sollen seitdem abhanden gekommen sein.

Ali, der gerade mit ein paar Hausgenossen aus zusammengesuchten Stangen und Winkeln neue Türriegel bastelt, erzählt die Vorgeschichte des Schlösserklaus. Eigentlich hatten die Bewohner der Brunnen183 vorgehabt, ihr Haus selbst zu kaufen, als es im Januar zur Zwangsversteigerung anstand. Doch dann wurde der Versteigerungstermin abgesagt. Die Gläubigerbank, die nicht bereit gewesen war, mit den Bewohnern zu verhandeln, hatte unter der Hand an einen Arzt aus Passau verkauft. Wider Erwarten nahm der neue Eigentümer Kronawitter keinen Kontakt zu seinen Mietern auf und reagierte auch nicht auf die Aufforderung, ein Konto zur Überweisung der Miete anzugeben. Also richteten die Bewohner ein Sperrkonto ein, auf dem sich nun die Mietzahlungen sammeln. Es bestünden schließlich mündliche Mietverträge mit den Vorbesitzern, argumentieren die Mieter, eine Hausbesetzung liege also nicht vor.

Etwa 30 Leute plus Gäste wohnen in dem Hausprojekt Brunnen183, das für Ali ein in der Stadt einzigartiges „Integrationszentrum" ist: ein zentral gelegenes Haus, in dem Menschen aus etwa 25 Ländern miteinander lebten und das eine wichtige Anlaufstelle für Künstler sei, die neu in die Stadt kommen. Seit vielen Jahren kümmerten sie sich um nötige Reparaturen selbst und gestalteten Haus und Hof nach eigenen Vorstellungen. Das Projekt sei außerdem eine Ruhezone, ein kleines Stück Utopie inmitten des kapitalistischen Systems. Denn man könne hier auch leben, ohne Geld zu haben.

Mit dem Umsonstladen wird die gelebte Utopie auch nach außen erkennbar. Im Umsonstladen können nicht mehr benötigte Gegenstände abgegeben und andere mitgenommen werden, ohne daß ein Zwang zum Tauschen besteht. Es ist, als ob in den Gemäuern noch immer der Geist von 1989 wirke, als der Zerfall eines gesellschaftlichen Systems Freiräume für das Leben auf utopischen Pfaden eröffnete ­ damals ist das Gebäude besetzt worden.

Auch wenn sich die Gegend rund um den Rosenthaler Platz und den Weinbergspark in den letzten 15 Jahren beträchtlich gewandelt hat, wollen die Bewohner im Kiez bleiben. Kronawitter möchte dagegen investieren, das Haus lieber modernisiert und zu einem Seniorenheim umgebaut sehen. Da die Mieter diesen Plänen offensichtlich im Wege stehen, befürchten sie, der Eigentümer bezwecke, sie durch eine Verschlechterung der Wohnsituation zum Ausziehen zu bewegen.

Weiteren unangenehmen Besuchen und einem Eindringen in die Wohnräume wollen die Hausbewohner nun durch Nachtwachen und morgendliches Frühstücken im Hof vorbeugen. Denn eines wollen sie auf keinen Fall zulassen – sich spalten und aus der Stadtmitte verdrängen zu lassen.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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