Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mit allem Ernst lachen

Foto: Knut Hildebrandt

Es gibt ein Lachen, das sich wie der Klang gefälschter Münzen anhört. Edmond de Goncourt

Sage mir, worüber ein Volk lacht, und ich sage dir, wofür es sein Blut zu vergießen bereit ist. Stanislaw Jerzy Lec

Es ist kein guter Start. Am Ort des Geschehens versucht eine Frau, die sich als Clown verkleidet hat, Umstehende und Passanten zum Lachen zu bringen. Dabei schreckt sie auch vor harten Methoden nicht zurück: Kaum angekommen, fährt sie schon ihre Arme nach mir aus – sie wolle mal sehen, ob ich kitzelig sei, gluckst sie – und grapscht mir an den Bauch. Ich bin kitzelig, lasse mich von fremden Menschen aber nur ungern berühren, und schon gar nicht am Bauch, erkläre ich ihr höflich, aber bestimmt. Da gibt sie die Verständnisvolle. Natürlich, natürlich, als Krankenhaus-Clown wisse sie sehr gut, daß der Patient beim Heilungsprozeß mittun müsse. Damit sind die Fronten zwischen mir und der Lachbewegung geklärt.

An diesem Wochenende ist Weltlachtag, und Deutschlands Lachjünger haben sich versammelt, um sich auf das Ereignis einzustimmen. Die Inselbrücke in Mitte ist gepflastert mit papiernen Smileys: an Geländern, den Häusern ­ überall blinkt das gelbe Grinsegesicht in der Abendsonne. „Fünf vor acht ­ Deutschland lacht" lautet das Motto, und etwa hundert Frohnaturen sind erschienen. Sie harren aus in bemüht heiterer Erwartung. Hin und wieder ist ein Glucksen, ein kurzes Auflachen zu vernehmen, das immer etwas angestrengt wirkt. Ein Mann, der sich als Lachsack verkleidet hat, läuft herum und zeigt hin und wieder sein riesiges Gebiß. Er lacht. Auf mich wirkt er, als wolle er alle verschlingen.

Auf der Brücke ist ein Gong aufgebaut, der mindestens einen Meter Durchmesser hat. Ein Mann demonstriert sehr eindrucksvoll die Variationsbreite des Instruments: Mit dem Schlaggerät scheint er das Metall zunächst zu streicheln, er umkreist sein Zentrum und erzeugt einen anschwellenden Klang. Dann geht das Surren in einzelne, regelmässige Schläge über. Und dann ist es fünf vor acht: Alle beginnen zu lachen. Man kichert, gluckst, gickelt, prustet, hält sich die Bäuche. Immer wenn das Gelächter abzubrechen droht, besinnen sich die Teilnehmer und lassen es wieder anschwellen. Sogar die Zuschauer müssen nun manchmal lächeln. Nach fünf Minuten ist das Soll erfüllt, das Gelächter ebbt ab. Jetzt soll die „Lach- und Tanzparty" folgen. Aber ohne mich, ich gehe lieber nach Hause.

Entstanden ist die Lachbewegung ­ natürlich ­ in den Vereinigten Staaten. Die Legende geht so: Als Norman Cousins von seinen Ärzten aufgegeben wurde, beschloß er, sein verbleibendes Leben wenigstens nicht mißmutig zu beschließen. Als naturwissenschaftlich geschulter Journalist wußte er um den Zusammenhang zwischen negativen Gefühlen und chemischen Vorgängen im Körper. Warum sollte das nicht auch umgekehrt funktionieren? Und siehe da: Ein Gelächter von lediglich zehn Minuten befreite ihn für drei Stunden von seinen Schmerzen. „Cousins lachte sich gesund", erklärt Tom Draeger, Initiator des Weltlachtages.

Die Ärzte, die nicht an eine Spontanheilung glauben wollten, prüften Cousins verblüffend einfache Therapie nach. Bald fanden sie heraus, was heute in der Lachbewegung zum Allgemeinwissen zählt: daß durch die Muskelbewegungen und erhöhte Sauerstoffzufuhr beim Lachen ­ hauptsächlich ­ Endorphine aktiviert werden, die das Immunsystem kräftigen. Segensreich soll sich zehn- bis 15minütiges Lachen vor allem bei Streß samt seinen Begleiterscheinungen wie Angstattacken und Krebs, Spannungskopfschmerzen und Verdauungsträgheit auswirken. Sagen zumindest die Fans der Gelotologie.

In den 90er Jahren hat die Lachbewegung von Indien aus ihren weltweiten Siegeszug angetreten. Die Legende geht so: Mit der heilsamen Wirkung des Lachens hatte sich der Arzt Madan Kataria schon länger beschäftigt, als ihm der Gedanke kam, sein Wissen an die Menschheit weiterzugeben. Er ging 1995 in einen öffentlichen Park von Bombay und begann mit Freunden zu lachen. Rasch fand er weitere Anhänger. Als ihm jedoch die Witze ausgingen, entwickelte er das „Lachen ohne Grund" zum Lach-Yoga, das Gelächter mit bereits bekannten Yoga-Übungen kombinierte. Inzwischen zählt man weltweit über 3000 Lachclubs, in Deutschland sind es etwa 80 und in Berlin sieben oder acht.

Fake it until you make it ­ so lautet das Motto der Anhänger systematischen Gelächters. Tom Draeger gehört zu ihnen. Er erklärt, wie es funktioniert: Zunächst geht es darum, das Lachen nur zu imitieren, also zu „lachen". Man muß also nicht einmal ein humorvoller Mensch sein, auch Kataria sei es nach eigenen Angaben nicht. Das systematische Lachen dient ­ in Draegers Worten ­ als ein Zündkabel für das echte, herzliche, fröhliche und natürliche Gelächter. Dagegen ist das Gelächter, das sich nach einem Witz einstellt, eine Sache des Verstandes. Über jemanden oder etwas zu lachen, ist aller Ehren wert und sinnvoll, meint der Mittsechziger. Doch das verbindende, kindliche und grundlose Lachen ist von einer anderen Qualität; hier ist der Lachende ganz bei sich, von allen sozialen Rollen befreit.

Draeger ist erst relativ spät zu seiner Mission gekommen. Seine Geschichte geht so: Früher war er sehr kontrolliert. Durch permanent enttäuschte Erwartungen wurde er ganz mißmutig, merkte selbst, daß irgend etwas mit ihm nicht stimmte. Er mußte aber erst in eine große berufliche Krise stürzen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß ihn die „ewige innere Talkshow" krank zu machen drohte. So will ich nicht enden, sagte er sich und suchte nach Menschen, die wie er wieder lachen wollten. Mit ihnen nahm er eine Lach-CD auf und gründete einen Lach-Chor: „Der Jäger aus Kurpfalz", „Bolero" und das berühmte „Manamana" aus der Sesamstraße gehörten zu ihrem Repertoire. Der Chor existiert nicht mehr, aber mit den Mitgliedern trifft er sich auch heute noch regelmäßig, um gemeinsam grundlos zu lachen.

Zen-Buddhismus war und ist Draegers wichtigster Impulsgeber. Dort fragt man sich: Wie stoppe ich den inneren Gedankenstrom, lasse Vergangenheit und Zukunft hinter bzw. vor mir und bin ganz gegenwärtig und ganz bei mir selbst? Die Antwort: Wer die vielen kleinen und großen seelischen Verletzungen überwindet, bringt den „ewigen plappernden Gedankenstrom" zum Schweigen und kann lachen. Draeger und seine Freunde brauchen dafür keine Übungen wie die von Kataria. Bei ihnen gibt es „Lachen pur", wie er betont.

Draeger hat allerdings mehr vor, als sich selbst zu therapieren. Seine Vision ist die einer heiteren Gesellschaft, die ihre Probleme nicht so verbiestert angeht. „Wer lacht, kann nicht schießen", spitzt er seine Botschaft zu. Am Ende wird sich der Weltfrieden einstellen, ist er überzeugt. Doch dahin geht es in kleinen Schritten. Ein erster bestand darin, sich mit Lachfreunden in die U-Bahn zu setzen und einfach zu schmunzeln. Mehr nicht. Nach ein paar Stationen, berichtet Draeger, lachte der ganze Waggon ­ und niemand wußte, warum. Auch der Weltlachtag, den er mitorganisiert hat, diente dem Ziel, das Lachen in die Welt zu tragen, Öffentlichkeit herzustellen, Wirkung zu erzielen. Leider fand das Event auf der Fischerinsel nicht den erhofften Widerhall bei Politikern, die auch eingeladen waren. Draeger vermutet, daß der Vorlauf einfach zu kurz war.

Eigentlich will ich selbst gar nicht mitmachen. Aber es hilft alles nichts: Die Leiterin, die sich Söckchen mit aufgenähten lachenden Gesichtern angezogen hat, besteht darauf. Ich füge mich und überlege, ob die Söckchen etwa lustig sein sollen? Wir bilden einen Stuhlkreis. Dann wirft sie mir eine Stoffigur zu, die nicht lustig ist. Was soll ich denn damit? Ach so, man muß sie drücken, dann kichert sie. Ja, das ist schon irgendwie lustig. Zumindest lustiger als die Söckchen.

Aber dann wird es richtig ernst. Wir stehen auf, schütteln den Alltag ab, lassen den Oberkörper baumeln. Atmen bewußt. Hüpfen auf der Stelle. Dehnen uns. Und schneiden Fratzen, um die Gesichtsmuskulatur zu entspannen, dabei laufen wir umher. Jetzt sollen wir zum ersten Mal lachen: Daumen heben und die anderen anlachen. Nach einer Weile bleiben wir stehen, klatschen rhythmisch in die Hände und rufen: Hoo-hoo, ha-ha-ha! Dann strecken wir uns, atmen tief durch und beugen uns nach vorn. Es folgt die zweite Runde: Umherlaufen mit „Lachbrille", also durch die zum Kreis geformten Zeigefinger und Daumen durchgucken. Dazu lachen wir natürlich. Das geht über in das rhythmische hoo-hoo, ha-ha-ha. Es folgt die Entspannung. Und so fort. Wir machen verschiedene Übungen, aus denen Gelächter erzeugt werden soll. Es hört sich scheußlich an, und ich fühle mich unwohl. Lach-Yoga, wird mir bewußt, ist meine Sache nicht.

Am Ende der Stunde fassen wir uns an den Händen, schließen die Augen, atmen tief durch und horchen in uns hinein. Bei mir ist da nichts. Wir haben nun die Gelegenheit zu sagen, wie wir uns fühlen. Gelangweilt, denke ich, bleibe aber lieber stumm. Will ja nicht undankbar sein. Das wird mir allerdings nicht gelohnt. Auch von mir will die Clubleiterin den Teilnehmerbeitrag von vier Euro einziehen. Ich bin sauer. Hatte ich ihr denn am Telefon nicht ausdrücklich gesagt, daß ich von der Presse bin? Daß ich eigentlich gar nicht an den Übungen teilnehmen wollte, sondern nur zugukken? Ich drücke ein wenig auf die Tränendrüse. Na gut, meint sie unwirsch, dann wenigstens zwei Euro. Und fügt hastig hinzu: Oder drei. Ich drücke ihr ein Zweieurostück in die Hand. Mehr geht nun wirklich nicht.

Wer geglaubt hat, New Age sei außer Mode, sieht sich angesichts der Berliner Lachszene eines Besseren belehrt: In Kreuzberger und Charlottenburger Seminarräumen lebt und gedeiht der Kult der diesseitigen Selbsterlösung durch Yoga. Mit äußerstem Ernst wird versucht, Fröhlichkeit, zumindest aber Gelächter zu erzeugen, um den eigenen Körper zu veredeln, die Gesundheit zu stärken und langfristig dem Tod von der Schippe zu springen. Dies dürfte der innerste Antrieb von Menschen sein, sich dieser freudlosen Tortur zu unterziehen.

Ohne es zu wissen, wandeln die Jünger des Lachens auf ausgetretenen Pfaden. Den Rückzug in die Innerlichkeit hatten die Lebensreformer schon vor über hundert Jahren angetreten: Gutbürgerliche Fortschrittsskeptiker frönten der Freikörperkultur, dem Vegetarismus und ähnlichem. Heute findet ihr Aufstand gegen die Moderne, deren Segnungen sie natürlich weiterhin genießen, eben beim Lach-Yoga statt. Unterschiede zwischen irgendwelchen Strömungen sind nicht auszumachen, auch wenn die Szene uneins ist. Denn ob man das Lachen in merkwürdige Übungen einbettet oder nicht, ob man dabei ausschließlich um seinen eigenen Körper kreist oder im Anschluß an dieses Kreisen die Welt verändern möchte, läßt keinen qualitativen Unterschied erkennen. Langweilig ist es allemal.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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