Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das macht doch jeder!

Gedanken zu geistigem Diebstahl

Ich kenne nur wenige Menschen, die nicht schon einmal – im herkömmlichen Sinne – geklaut haben und das auch öffentlich zugeben. Geistigen Diebstahl hingegen gesteht kaum jemand ein, obwohl dieses Delikt, wie ich meine, weitaus häufiger vorkommt. Ich versteige mich zu der Behauptung: Das macht doch jeder!

Natürlich, um dieser Behauptung eine Grundlage zu geben, muß ich hinzufügen, daß ich die Definition von geistigem Diebstahl, wie sie in der Rechtssprechung üblich ist, für unzulänglich halte. Mir mißfällt die gesetzlich festgeschriebene Einschränkung, daß geistiger Diebstahl nur dann vorliege, wenn es sich beim angeeigneten Gut um ein Erzeugnis handele, das jemand „im Schweiße seines Angesichts" auf Papier oder Leinwand gepinselt, in den Computer gehackt hat: jemand also eine Idee zu Schrift, zum Bild gemacht hat. Jeder, dessen mal eben so hingesagter Gedanken sich ein anderer bemächtigt, um sie anderswo hinauszuposaunen, ist für mich ebenfalls „Opfer" eines geistigen Diebstahls. Und diesen Ideenklau finde ich nicht verwerflich.

Aber auch im künstlerischen Bereich oder in der Literatur erscheint mir geistiger Diebstahl völlig legitim. So bediene ich mich gern fremder Texte, begehe Ideenklau, Wörterklau, Sätzeklau, ha, noch viel schlimmer, selbst der Diebstahl ganzer Textfragmente ist mir recht, um ein Poem, ein Drama oder was auch immer zusammenzuschustern. Meinen wohl dreistesten geistigen Diebstahl auf literarischem Gebiet beging ich, als ich 18 war. Ich schrieb aus einem Buch über die französischen Surrealisten den Text eines der weniger bekannten Protagonisten von damals ab, kürzte ein wenig, dichtete etwas hinzu, fertig. Wohl etwa drei Viertel des neu entstandenen Textes stammten nicht von mir. Trotzdem bezeichnete ich das Werk als mein eigenes, und ich bin auch heute noch der Meinung, daß dieses zusammengeschraubte Elaborat eine neue, ganz eigene Qualität hatte. Beweisen kann ich das allerdings nicht: Der Text ging mir verloren. (Eine schöne Pointe wäre es gewesen, man hätte ihn mir geklaut.)

Collage, Reduktion, jegliche Manipulation ­ das sind vielleicht keine Verbesserungen des Textes oder des Kunstwerks, das man da geplündert hat, aber doch in jedem Fall Veränderungen nicht nur einfach des Werks, sondern der Aussage, der Wirkung. Und selbst wenn jemand einen Text von mir buchstabengetreu abpinselte und ihn unter seinen Namen veröffentlichte, es wäre mir egal. Er soll erstmal versuchen, aus meinem grandiosen Werk Kapital zu schlagen. Wer, abgesehen von den Bestsellerautoren, wird schon reich mit Literatur?

Etwas problematischer sehe ich den geistigen Diebstahl unter Journalisten oder ­ schlimmer noch ­ den unter Wissenschaftlern. Gleichwohl ist er eben auch in diesen Bereichen üblich und rechtlich nur schwer zu verfolgen ­ wenn man sich nicht allzu dumm angestellt und da und dort ein bißchen geändert, frisiert, getunt hat. Aber selbst wenn man solches Tun verachtenswert findet, es hat doch etwas Gutes: Die Idee bzw. das Wissen wird weitergetragen.

Deshalb: Schreibt ab, wenn ihr gerade keine eigene Idee zu verwursten habt! Und bitte möglichst hemmungslos! Ein Anfang wäre ja, genau diesen kleinen, jämmerlichen Text unter geändertem Autorennamen, geändertem Titel und von mir aus auch hie und da geändertem Wortlaut der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau oder der Berliner Zeitung anzubieten. Auf daß die Idee von der Rechtmäßigkeit des geistigen Diebstahls in die Welt getragen werde.

Bengta Bischoff

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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