Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Keine Schmerzunterbrechung

Soft Rock heißt das straightest-als-möglich vorgetragene Debütalbum der Liedermacherin Justine Electra

Nicht gehetzt, nicht brandheiß und auch nicht subversiv bis ins Mark. Aber durchdringend, durchscheinend, immer eine Basis schaffend, deutlich und manchmal eineindeutig geht es in ihren Liedern zu. Zu sagen gibt es so viel, daß es nicht nötig wird alles auf die Spitze zu treiben, die Dramaturgie künstlich anzufachen. Wo bei Xiu Xiu die Türen aus den Angeln fliegen, findet Justine Electra eine andere Statik, keine, die Brüche zulassen oder Schocks aufnehmen muß. Das Erschütternde wird hier nicht zelebriert, eher die Weltschwere in der Schwebe gehalten. Nichts klingt pathetisch, wenngleich das Pathos als Basis, als große dunkle Wolke immer mitgedacht ist. Akustisch klingt das immer nach Präsenz, nach Person ganz nah und vorn, direktes Gegenüber ­ und im Hintergrund die Weltdekoration, alle Stile, alle Gefühle, alle Geschichten. Wenn Justine im Interview Suzanne-Vega- oder Toni-Childs-Zeilen singt, dann ist das kein Gag, keine Anekdote, noch irgendeine Nostalgie beschwörende Attitüde, sie hat gehörig viel Respekt vor diesen und den anderen Liedermacherinnen, Kate Bush, Patti Smith, Michelle Shocked. Auf die Qualität der Lieder, auf die Texte und Geschichten und auf die authentische Interpretation kommt es ihr an, das bestimmt ihre Arrangements: nicht eine einzige große Geste ­ dafür unzählige Versuche, Haltung gegenüber Themen zu bewahren, die manchmal zu groß scheinen. Statt zu verkrampfen, Aggression in Tempo zu übersetzen, läuft diese Platte ruhig und stoisch. Das hat den Charme von „The Hissing Of The Summer Lawns" oder „John Wesley Harding", ohne deren Aura auch nur anzukratzen. Wie gesagt, das ist kein allesumstürzenwollender Reform-(Höllen-)Rock, das ist Soft-(Punk) Rock, persönlich, voll konzentriert, erfrischend liebesliedfrei, lakonisch. Die in Australien aufgewachsene Berlinerin hat die Produktion der Platte offenbar ganz bei sich halten können. Diese wirkt herb und trocken, wenig Hall, Begrenzung auf Nah-Stimme bei Uni-Tempo. Trotz viel Experiment „versteckt" sich nicht eine einzige Geräuschspur. Bewegen muß ich mich, wenn auch ohne Hast, langsames Wippen oder Kopfnicken im Sitzen, sonst tut es nur weh; wie bei jeder Wailers-Platte kannst du dich dazu nicht ablegen, wegkuscheln.

Justine, machst du absichtlich keine Dancefloor-Stücke?

Für Dancefloor braucht man vielleicht einen schnelleren Rechner.

Gehören Roboter-Typen heute wie Radioaktivität zum Leben dazu?

Fancy meint sich so auftakeln, übertrieben anziehen. Es hat mit Stil zu tun, also aufgetakelte Roboter. Die Frage ist vielleicht, was kam zuerst, der Roboter oder der Mensch.

Ich finde, daß die Platte einerseits extrem düster/melancholisch klingt, andererseits viel Lebensfreude zeigt. Daher kam ich auch gleich auf The Flaming Lips; ist denn die Parallele zu dem spielerisch analytischen Spacerock der Flaming Lips bewußt ­ mit „Fancy Robots"­ von dir gezogen worden?

Das ist schön, daß du das sagst, denn ich habe sie vor drei Tagen entdeckt, habe im Internet ein Flaming-Lips-Video gesehen, wo sich deren Sänger als Araber anzieht, und ich konnte nur meinen Arsch ablachen, mußte es zweimal schauen. Ich finde deren direkten Humor total süß und verstärkend. Man bekommt das Gefühl, man hat immer eine Rolle zu spielen, irgendwo.

„Killalady" habe ich als Hommage an Leute wie Missy Elliot verstanden. Spätestens bei diesem Stück schalten all diejenigen ab, die Wert auf Genre-Reinheit und allen sonstigen Kunst-Rassismus legen!?

Ja, genau. Heute rief ich einen Kumpel an, und er sagte, immer wenn er das Stück höre, müsse er weinen. Ich fragte, weinen? Das ist doch vielleicht das fröhlichste Stück auf meiner Platte. Zu anderen Stücken würde ich weinen, z.B. zu „Defiant And Proud" oder „Railroad Baby". Er sagte, nein, nein, wenn er „Killalady" höre, dann denke er an all die Mädchen in seinem Leben, denen gegenüber er sich vielleicht nicht so nett verhalten habe.

Toni Childs hatte ich ebenfalls herausgesucht...

Toni Childs ist super. I love this song „Stop Your Fussin", also diese eine Platte (Union), die ich mal hatte, (singt: don't you look so sad/when the sky is perfekt blue). I love that album, I LOVE that album, that's a fucking great album, ja auf jeden Fall!

Nur etwas überproduziert...

Das ist das Ding, ich finde oftmals bei Frauen/Sängerinnen, daß sie mit irgendeinem Produzenten ein erfolgreiches Album machen, und anstatt einfach zu lernen wie man ein Album produziert, gehen sie wieder einfach mit einer anderen Person mit und nehmen die Sache nicht selbst in die Hand! Das verstehe ich nicht. Selbst produzieren kann jeder. Man kann einfach ein Vierspurgerät nehmen. Ich frage mich echt, warum nicht mehr Frauen sich selbst produzieren.

Wie konzipierst du deine Texte?

Diese Schallplatte ist überwiegend reine Phantasie. Eigentlich ist nicht so viel von mir selbst da drin. Natürlich erfährst du Sachen einfach, weil du so ein Mensch bist. Vielleicht hast du erfahren, daß dir 20mal im Jahr ein Vanilleeis angeboten wurde, dann steht das einfach dafür, wer du bist.

Oberflächlich hört sich dein Album lieblich an, darunter höre ich sehr viel Aggression.

Es ist ein tiefes Album. Ja, auch Punk. Es dauert nicht lange, ich schreibe ein Stück in einer halben Stunde, in einer Stunde. Und mit den Arrangements ist es so wie mit einer Tomatenpflanze, die man gießt. Es ist nicht anstrengend, man kriegt Power davon.

„Fly Me To The Moon", die Textzeile am Anfang, habe ich bei Polly Jean Harvey gefunden.

I love P.J. Harvey.

Es ist kein Sample aus „Reeling"...

Nein, das bin ich.

(J.E. liest meine Tracklist)

I love Michelle Shocked too, die ist sehr gut. I really loved this texas campfire tapes-Album. Auch Patti Smith ist ganz großartig. Sie ist die erste „Hexe" der 70er Jahre, sie ist richtig fucking cool. Was ich total mag, sind Leute, die versuchen, die Grenzen unserer Rollen ein bißchen zu pushen und zu verbreitern. Das finde ich ganz cool. Peaches ist auch ganz groß, weil sie so eine Hexe ist, sagt, ich mache was ich will, und das mach ich jetzt! Und daß sie Leute motiviert und inspiriert hinter ihr zu stehen. Das ist eine Armee. Ich finde total gut an Peaches, daß sie sich nicht vom Kommerz ablenken läßt. Sie ist für mich eine große Inspiration. Sie ist nicht so sehr von ihrem eigenen Erfolg eingenommen, sie redet alle Leute gleich freundlich und liebevoll an und hat zu Madonna „nein" gesagt, als diese von ihr ein Remix haben wollte.

Dein Gesangsstil erinnert stellenweise an Victoria Williams..., welche Gruppen hörst du dir gerne an?

Nein, Victoria Williams kenne ich nicht. Ich war vor kurzem auf einem Vetiver-Konzert. Das war extrem gut und schön. Dadurch habe ich etwas gewonnen. Ich war total müde, aber ich wollte sie unbedingt noch sehen, weil ich eine ihrer Platten habe und, oah, die haben mich einfach geheilt, haben in mich soviel Strom investiert, so daß ich mich hinterher absolut leicht und froh und, you know, fühlte.

Interview: Jörg Gruneberg

> „Soft Rock" von Justine Electra erscheint am 9. Juni bei City Slang/Rough Trade

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