Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
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Goals, Goals, Goals

Im Ballhaus Ost wird gezeigt, wie die Indianer zum Fußball kamen

Foto: Knut Hildebrandt

Fußball kann richtig Spaß machen, so es nicht um 22 kurzbehoste Männer und einen Ball geht, sondern um das Geschehen, das sich in einem Theaterraum abspielt. Dabei gibt es manches zu entdecken, zum Beispiel, daß der Profifußball früher auch nicht menschenfreundlicher als heute war. Fußballspieler und Indianer heißt ein Theaterstück von dem heute eher unbekannten Dada-Autoren Melchior Vischer, das vor 80 Jahren seine Uraufführung hatte. Daß dieses bemerkenswerte Stück nach einigen Jahrzehnten wieder einmal der Vergessenheit entrissen wurde, verdanken wir Stephan Müller (Regie) und Sascha Löschner (Dramaturgie), die seine Inszenierung im Ballhaus Ost besorgten.

Es geht um den jungen Zuhälter Bill Week, eine ungestüme Mischung aus Franz Biberkopf und Baal, der in seiner Freizeit am liebsten rumbolzt, dabei vom Agenten Schimsa entdeckt und direkt an einen Club verkauft wird. Natürlich mit viel Gewinn für den Agenten, denn Bill spielt aus Leidenschaft und nicht für's schnöde Geld! Bei der Meisterschaft soll Bill viele Goals (ja, so hieß das damals) schießen und dem Club zum Sieg verhelfen, aber er verletzt sich so stark, daß seine Profilaufbahn vorbei ist, bevor sie überhaupt begonnen hat. Daraufhin gibt ihm seine zickige Freundin Milly den Laufpaß und bändelt mit dem Clubpräsidenten an, Fußballbraut eben. So ohne alle Perspektive besinnt er sich auf seinen eigentlichen Beruf, Kohlenschipper bei der Bahn, und geht auf große Reise „bis zum Orinoko". Dort sitzen schon die Indianer, die mit dem Ball missioniert werden müssen und sich als sehr talentiert erweisen, besonders der aus der Art geschlagene Häuptlingssohn. Der nämlich guckt lieber Rehen beim Schlafen zu als sich mit anderen Stämmen zu prügeln. Als dann auch noch Talentscout Schimsa erscheint, ist das Schicksal des Stammes besiegelt...

Das ganze Stück spielt sich vor einer pinkfarbenen Showtreppe mit Seitengelassen ab, im Hintergrund tänzeln zarte Wasserballerinen vor blauem Wölkchenhimmel. Diese pinkgefärbte Bühnenwelt steht in hartem Kontrast zum Geschehen, wo alles Ware ist, auch Babies oder „Eingeborene", wenn sie nur gut mit dem Ball umgehen können. Da ist wenig Platz für Romantik, und so agieren die Figuren zornig, rotzig, zynisch und sehr sportlich. Diese Härte wird von den Tänzerinnen durchbrochen, die mal graziös als Mannschaft in pastellfarbenen Flatterkleidchen eine Trainingsstunde absolvieren oder sich allerliebst als Dekoration um Palmen winden - ein wenig Slapstick zur Auflockerung. Stephan Müller hat das Stück nicht zwanghaft auf modern gebürstet, wie es momentan im Stadttheater en vogue ist. Fast scheint die liebevolle Inszenierung ein wenig aus der Zeit gefallen. Das kann am Text liegen oder am Spielort Ballhaus Ost, diesem leicht verkommenen Versammlungssaal, oder am Dekor. Dabei ist das Stück keineswegs von gestern: Der Mensch als Ware, Globalisierung und Entfremdung, viel verändert hat sich nicht. Ein reizvolles Spiel, das auch einem gewissen jungen Mann namens Brecht einmal sehr gut gefiel.

Ingrid Beerbaum

> „Fußballspieler und Indianer", Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Vorstellungen am 31. Mai, 20 Uhr, 9.-11., 18., 19. Juni, 21 Uhr

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