Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
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Ausstellungen für die Ohren

Die singuhr-hörgalerie in parochial feiert ihren zehnten Geburtstag

In der Ausstellung des Berliner Künstlers Stefan Rummel, die bis Mitte Mai im Glockengewölbe der Parochialkirche stattfand und die den paradoxen Titel in die länge gezogener geistesblitz trug, gab es durchaus etwas zu sehen. Denn die Geräusche, die Rummel am Ort der Ausstellung aufgenommen und dann elektronisch bearbeitet hatte, kamen aus Lautsprechern, deren Membranen durch den Raum gespannte Silikonschnüre in Schwingung versetzten und ihrem Ursprungsort sozusagen wieder zurückgaben. Daß es in diesem ungewöhnlichen Ausstellungsraum etwas zu sehen gibt, ist keineswegs selbstverständlich. Die singuhr-hörgalerie in der Klosterstraße, die jetzt ihr zehnjähriges Bestehen feiern kann, wendet sich nämlich in erster Linie an den Hörsinn. Es wäre aber kein Berliner Jubiläum, wenn sich die Freude über das Erreichte nicht mit Sorgen über die ungewisse Zukunft und Finanzierung mischen würde.

Ins Leben gerufen und bis heute mit Enthusiasmus am Leben erhalten wird die Hörgalerie von Carsten Seiffarth, der auch dem künstlerischen Leitungsteam des benachbarten Tesla im Podewils'schen Palais angehört. In den ersten Jahren arbeitete Seiffarth mit Susanne Binas zusammen, seit 2000 mit Markus Steffens. Seiffarth und Binas waren mit von der Partie, als die 1703 erbaute Parochialkirche, die in der DDR als Möbellager gedient hatte, Anfang der 90er Jahre aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wurde und eine „Gesellschaft zur Förderung von Kultur in der Parochialkirche" sich gründete. Das Veranstaltungsprogramm der ersten Zeit war einigermaßen konfus und brachte Musik von Giora Feidman bis John Cage in die barocke Kirche. Binas und Seiffarth war aber schnell klar, daß sie hier einen idealen Ort für die Klangkunst gefunden hatten. Sie hatten das große Kirchenschiff zur Verfügung, aber auch den wesentlich kleineren Glockenraum. Als Erwin Stache im Mai 1996 27 Klangkästen ausstellte, die wie Spieldosen beim Öffnen Stimmen und Geräusche hören ließen, war ein Anfang gemacht.

Was unter Klangkunst zu verstehen sei, ist gar nicht so leicht zu bestimmen. „Hier scheinen sämtliche Ordnungssysteme der europäischen Tradition artifizieller Musik außer Kraft gesetzt", schreibt Susanne Binas. „Ausgrenzungen sind möglich, aber keine Eingrenzungen." Die Klangkunst ist zudem eine flüchtige Kunst, und es stellt sich die Frage, wie die meist ortsbezogenen Arbeiten überhaupt dokumentiert werden sollen ­ weder Fotos noch Tondokumente können das befriedigend leisten. Zudem lassen sich die wenigsten Arbeiten an andere Ausstellungsorte transferieren. In den Institutionen des Kulturbetriebs landet die Klangkunst meist zwischen den Stühlen. Den Kuratoren aus der bildenden Kunst fehlt oft der musikalische Sachverstand, um diese Kunstform qualifiziert in ihre Ausstellungskonzepte einzubeziehen. Und bei Festivals für neue Musik bekommt sie in der Regel nur einen Platz am Rande zugewiesen: Die Pausengespräche übertönen dann die Klanginstallationen in den Foyers.

Der Ort, den Carsten Seiffarth mit der singuhr-hörgalerie für die Klangkunst erobert hat, ist deshalb einzigartig und von internationaler Ausstrahlung. Erstaunliche 40000 Besucher konnten seit 1996 in die Parochialkirche gelockt werden. Für Seiffarth und sein Hörgalerie-Konzept gab es in Berlin allerdings durchaus Anknüpfungspunkte und Traditionen. So hatte sich etwa die Akademie der Künste immer wieder für Klangkunst eingesetzt und mit den Ausstellungen Für Augen und Ohren (1980) und sonambiente (1996) Akzente gesetzt. Bei letzterer trat die neugegründete Hörgalerie bereits als Kooperationspartner auf und konnte mit den Geldern eine erste Ausstellungssaison auf die Beine stellen.

„Weder ein Festival noch ein spektakuläres Event, sondern ein fortlaufendes Projekt sollte die singuhr-hörgalerie in parochial werden." So beschreiben Susanne Binas und Carsten Seiffarth rückblickend ihre Intention, und deshalb waren diese zehn Jahre auch ein permanenter Überlebenskampf. Als das Kulturamt Mitte noch Gelder zu verteilen hatte, profitierte die junge Galerie davon. Mal konnten EU-Gelder eingeworben werden, mal brachten Kooperationen etwas Geld und seit 1999 kommt sogar ein bißchen Geld vom Senat. Wenn eine Saison ­ von April bis Oktober, im Winter wird wegen fehlender Heizung pausiert ­ inhaltlich geplant ist, ist meistens noch gar nicht klar, ob die nötigen Geldmittel überhaupt zur Verfügung stehen werden.

Die Liste der Künstler, die bereits in der singuhr-hörgalerie gearbeitet haben, ist lang und international, man findet Namen wie Alvin Lucier und Carsten Nicolai, Christina Kubisch und Terry Fox. Einige von ihnen sind aus der Musikszene geläufig, andere sonst eher auf Ausstellungen bildender Kunst präsent. Berlin ist heute ein lebendiges Zentrum der Klangkunst, viele dieser Künstler arbeiten hier. Carsten Seiffarth aber, der von renommierten Neue-Musik-Festivals als Kurator für Klangkunst engagiert wird, muß an seinem angestammten Platz noch immer ums finanzielle Überleben kämpfen. Und seit die Parochialkirche von neuen Pfarrern aggressiv vermarktet wird, fühlt er sich dort nur mehr geduldet. Bleibt zu hoffen, daß wir derzeit nicht die letzte Saison der singuhr-hörgalerie in parochial erleben.

Florian Neuner

> Miki Yui (J/D): „Atem – Innerest", Klanginstallationen, 1. Juni bis 16. Juli in der singuhr-hörgalerie in parochial, Parochialkirche, Klosterstraße 67. geöffnet Di bis So 14-20 Uhr, Vernissage 31. Mai 18 Uhr.
www.singuhr.de

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