Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Was es zu wählen gibt (I)

Verfassungsänderung: Alle Macht dem Landesvater,

CDU

: Keine Überraschungen,

SPD

: Weiter so!

Bald ist es wieder soweit. Wenn das Brimborium um die Fußball-WM verklungen ist, beginnt der Straßenwahlkampf. Die Berliner dürfen mit vielen inhaltsleeren Sprüchen und Politikerköpfen auf zigtausenden Plakaten rechnen. Nach dem Wahltag am 17. September hat der Souverän, die 2,4 Millionen Wahlbürger, wieder Pause von der demokratischen Einflußmöglichkeit – erst 2009 geht es mit der Bundestagswahl weiter.

Doch halt, es gibt ja noch Volksbegehren und -initiativen. Die dürfen zwar nicht in haushaltspolitische Belange eingreifen ­ und welches wichtige politische Thema hat nicht mit Finanzen zu tun ­ aber immerhin. Deren Quoren, also die benötigten Unterschriften, um eben diese Begehren und Initiativen einleiten zu können, sollen stark gesenkt werden ­ so haben es alle fünf Fraktionen des Abgeordnetenhauses vor kurzem mit der nötigen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Der Landesverfassungsänderung muß der Wähler am 17. September nur noch zustimmen.

Das Ganze gibt es allerdings nur im Paket: Nach jahrelangem Widerstand haben Grüne und Linkspartei.PDS einer Selbstentmachtung des Abgeordnetenhauses und des Senats zugestimmt. Der Regierende Bürgermeister allein wird künftig die Senatoren einsetzen, die bislang von den Abgeordneten gewählt wurden. Und er erhält die volle Richtlinienkompetenz, die er zuvor mit dem jeweiligen Senator teilte ­ der Landeschef wird also die Leitlinien der Politik noch stärker bestimmen. So wird dem Wähler mit dem Zuckerstückchen Ein-bißchen-mehr-direkte-Demokratie ein zentralistisch-autoritäres Landesvater-Regime untergeschoben.

Blickt man auf die derzeitigen Umfrageergebnisse, scheint die einzig halbwegs spannende Frage am Wahlabend, ob die SPD weiter mit der Linkspartei regieren wird oder aber die Grünen Juniorpartner in einer sozialdemokratischen Landesregierung werden. Die SPD, die mit dem jetzigen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit als Spitzenkandidat antritt, ist in der bequemen Lage, sich nicht festlegen zu müssen.

Denn von der CDU droht bislang nicht wirklich Gefahr ­ zumindest nicht für die SPD. Zwar haben die Berliner Konservativen, denen der Kalte Krieg noch immer in den Knochen steckt, nach langen Querelen einen verhältnismäßig liberal wirkenden Frontmann gefunden. Doch ist allen klar, daß der 50jährige Friedbert Pflüger nur die Aufgabe hat, ein völliges Wahldesaster zu verhindern. Pflüger wird sich nach der Wahl einen karrieredienlichen Eintrag als opferbereiter Parteisoldat in seinem Lebenslauf notieren können und weiter im Bundestag sein Auskommen haben. Die Berliner CDU kann dafür vielleicht einige Sitze mehr im Abgeordnetenhaus einheimsen.

Das Wahlprogramm der Christdemokraten hat keine Überraschungen zu bieten. Parallelgesellschaften wird mit Integration gedroht. Und „kriminelle Ausländer" gehören ratzfatz abgeschoben ­ überhaupt ist die Kriminalität gestiegen (im Programm der SPD ist sie gesunken). Deswegen muß die Bürgerwehr her (freiwilliger Polizeidienst) und das Ordnungsamt (Kiezbullen) mehr freie Hand bekommen. Das ganze wird mit Forderungen nach verdachtsunabhängigen Kontrollen und Videoüberwachung drapiert. Wie sich das Blockwartdenken mit der „bunten" und „lebendigen Vielfalt" Berlins verträgt, die von der Hauptstadt-CDU an anderer Stelle ihres Programms besungen wird ­ nicht zuletzt aus vermarktungstechnischen Gründen des „Kulturstandorts" ­, bleibt ihr Geheimnis.

Nichts gelernt hat die CDU in wirtschaftlichen Dingen. Der Verschuldung der Stadt will man mit „Privatisierung von Beteiligungen und Verwaltungsaufgaben" begegnen. Das soll nicht einmal aus „fiskalischen Zwängen" geschehen, sondern aus „ordnungspolitischer Überzeugung". Der verdanken die Berliner beispielsweise die enorm hohen Wasserkosten. Die damalige große Koalition privatisierte zu bekloppten Bedingungen die Wasserbetriebe. Aber selbstverständlich, so ist es bei den Konservativen zu lesen, hat Rot-Rot alles falsch gemacht.

Das sieht die SPD selbstredend anders. Sie setzt im Wahlkampf auf „Weiter so!" und vor allem auf Klaus Wowereit, der für das „junge und lebendige, lebens- und liebenswerte, tolerante und internationale Berlin" stehe. Daß es sich bei ihm um einen Technokraten handelt, der das Sparen („bis es quietscht"), wovon vor allem arme Menschen betroffen sind, zum Dogma der Landespolitik erhoben hat, wird nur verklausuliert erwähnt. Die „langfristig angelegte Sanierungspolitik" wird angeblich im „Interesse unserer Kinder und Kindeskinder" getätigt.

Das Interesse der jetzigen und nächsten Generationen wird aber durch den Ausverkauf von Landeseigentum und die Vernachlässigung öffentlicher Infrastruktur mangels Investitionen nicht minder verletzt. Noch dazu hat der Sparkurs bislang weder die Verschuldung senken noch die Zinszahlungen (derzeit rund 2,5 Milliarden jährlich) reduzieren können. Einzige Hoffnung ist die Teilentschuldung durch den Bund: 35 Milliarden der über 60 Milliarden Euro Schulden hofft man, gestundet zu bekommen. Darüber wird das Bundesverfassungsgericht im Herbst eine Entscheidung fällen ­ ob vor oder nach den Wahlen, ist unbekannt. Einen Plan B, falls nicht entschuldet wird, präsentiert die SPD nicht.

Kann man sich also die Wahlen sparen? Vielleicht haben die kleinen Parteien etwas in petto, was der zweite Teil in der nächsten Ausgabe zeigen wird.

Lorenz Matzat

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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