Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Shopping-Mall-Wahn statt Hochhausgewitter

Ende letzten Jahres wurde das neue „Eastgate" in Marzahn eröffnet, auf der „Banane" zwischen Jannowitzbrücke und Alex wird derzeit die Mega-Shopping-Mall „Alexa" hochgezogen, und in Lichtenberg entsteht nun schon Ringcenter Nr.3. Berlin mag es an vielem mangeln – nur nicht an Einkaufszentren: Inzwischen kann man entlang des S-Bahn-Rings an nahezu jeder Station in ein Shopping-Center fallen. Der jüngste Bericht der Senatsverwaltung für Wirtschaft zum Einzelhandel zählte insgesamt 81 solcher Zentren.

Allein in den letzten vier Jahren ist die Kaufkraft in Berlin um 5,7 Prozent gesunken (Bundesdurchschnitt: 4,1 Prozent), seit 1998 sind die Einzelhandelsumsätze in Berlin von 15,7 auf 15,0 Milliarden Euro geschrumpft. Gleichzeitig verzeichnet Berlin seit den 90ern einen rasanten Zuwachs an Verkaufsflächen ­ allein zwischen 1998 und 2005 stiegen sie um satte 22 Prozent auf 4,3 Millionen Quadratmeter. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der dort Beschäftigten um 19 Prozent von 100000 auf 81000 ab. Die Morgenpost sieht darin merkwürdigerweise ein „Paradox", wo es sich eigentlich nur um die logische Konsequenz spekulativer Immobilienblasen in Verbindung mit einer starken Monopolisierung durch international agierende Ketten handelt. Ein uneingeschränkter Markt, der um immer knappere Kaufkraft buhlt, erzeugt eben zwangsläufig auch hemmungslose Konkurrenz. Neu ist das alles freilich nicht: Bereits Mitte der 90er warnten kritische Beobachter vor enormen Leerstandsquoten infolge überzogener Wachstumserwartungen und des damit verbundenen Baubooms, klagte der Einzelhandelsverband bereits über einen Flächenüberschuß von mehr als 10 Prozent.

Die Hamburger ECE beispielsweise bewirtschaftet in Berlin nicht nur neben dem Eastgate auch die Potsdamer Platz Arkaden, das Linden-, Ring- Allee- und Gesundbrunnencenter, sondern europaweit 82 Shopping-Center, Passagen und Bahnhöfe. Lustig an diesem Globalisierungseffekt ist, daß die hochgerühmten Potsdamer Platz Arkaden nun ganz genauso aussehen wie die drei Jahre zuvor eröffnete Shopping Mall in Belfast.

Paradox ist allerdings angesichts dieser Entwicklung die Schlußfolgerung des Wirtschaftssenats, die altehrwürdigen, gleichwohl im Aussterben begriffenen Geschäftsstraßen „profilieren und stärken" zu wollen. Ein „Leitfaden für Geschäftsstraßenmanagement" und eine von der IHK entwickelte „Mustersatzung für Standortgemeinschaften" werden da erfahrungsgemäß wenig reißen, wie auch die „Zentren-Initiative" des Senats zwecks Steuerung des unkontrollierten Shopping-Mall-Wahns wohl ein paar Jahre zu spät kommt. Einen Vorteil hat der Boom immerhin: Wo sich die Bürger jahrelang mit ihren Protesten erfolglos gegen die ehrgeizigen Hochhauspläne am Alex zu wehren versuchten, beendet nun Alexa ganz beiläufig den Wahnwitz. Eine Nachfrage nach weiteren Flächen an diesem Ort dürfte jetzt wirklich kein Investor mehr haben. Es lebe der Markt.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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