Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Reaktionäre Spurenelemente

Pay The Devil: Van Morrisons angemessener Umgang mit amerikanischer Country-Music

Einer der Gründe, warum viele seiner Anhänger Van Morrison seine Ausflüge ins Country-Genre übelnehmen, ist sicherlich die Tatsache, daß er hier nicht die Gelegenheit hat, eine seiner größten Stärken auszuspielen: die vokale Improvisation. Die besondere Intensität seines Gesangs entsteht dadurch, daß er über eine fast unendliche Fülle von Möglichkeiten verfügt, mit seiner Stimme Emotionen und seelische Zustände zu reflektieren. In der Country-Musik ist dies schwieriger als etwa im Blues oder Jazz. Die Melodien sind vorgegeben und lassen nur wenig Spielraum für Improvisationen. Trotzdem gelingt es Van Morrison, sich diese Musikgattung zu eigen zu machen und ihr neue Aspekte abzugewinnen.

Pay The Devil ist nicht Van Morrisons erste Annäherung an die Country-Musik. Der „Belfast Cowboy", der zu Recht als einer der größten Interpreten der Populärmusik gehandelt wird, hat im Laufe seiner mittlerweile über vierzigjährigen Karriere immer wieder Berührungen mit Country gehabt ­ auch wenn man natürlich festhalten muß, daß Morrisons musikalischer Kosmos seit jeher hauptsächlich um die Pole Jazz, Blues, Soul und Irish Folk kreist. Jedoch: Bereits in seinen frühen Jahren waren auf einigen seiner Songs Steelgitarren und Country-Harmonien zu hören, so beispielsweise auf den Alben His Band And The Street Choir und Tupelo Honey aus den siebziger Jahren. Auch damals schon wurde er dafür gelegentlich von Fans angegriffen ­ man wollte nicht akzeptieren, daß der Gralshüter des „weißen Soul" auch nur Spurenelemente der als „reaktionär" gescholtenen Countrymusik in seine Songs einbaut.

Jene Morrison-Fans, die diese Art Musik nicht mögen, können einem leidtun, denn der Meister kennt diesmal keine Gnade: Das Album ist erfreulicherweise Country pur, traditionelle Honky-Tonk-Musik. Morrison und Band haben nicht nur den klassischen Sound der fünfziger und sechziger Jahre nachgebaut, sondern sie liefern mit ihrem Gespür für diese Musik eigenständige, angemessene Interpretationen.

Dabei besteht die LP überwiegend aus Coverversionen alter Songs, darunter Klassiker von Hank Williams, Bill Anderson, Leon Payne, Webb Pierce oder Rodney Crowell. Drei Songs hat Morrison selbst komponiert. Daß sie stilistisch absolut integriert sind und so zum homogenen Gesamteindruck des Albums beitragen, beweist, daß der Mann sich auch kreativ in die formalen Strukturen, Melodik und Harmonik und das thematische Spektrum von „Country" einfühlen kann, ohne daß es peinlich wird.

Daran hat auch die höchst kompetente Begleitband ihren Anteil. Die Musiker stammen nicht aus Nashville oder Los Angeles, sondern aus Van Morrisons irischer Heimat, wo die Platte auch aufgenommen wurde, und spielen seit Jahren mit ihm zusammen. Es erstaunt schon, wie perfekt sich die Gruppe einfühlt, wie souverän die Musiker, die aus dem Rock- oder Jazzbereich kommen, mit den traditionellen Country-Versatzstücken umgehen. Und die Solisten stehen ihren amerikanischen Kollegen in puncto Virtuosität in nichts nach. Typische Country-Instrumente wie Steel Guitar und Fiddle erklingen in brillanter Perfektion. Klassische Arrangements werden hier nicht einfach nur imitiert, sondern durch Variationen und eigenständige Ideen dem Gesamtkonzept angepaßt. So etwa in Morrisons Eigenkomposition „This Has Got To Stop", wo die traditionellen Fiddle-Soli nicht von einem einzelnen Instrument, sondern gleich von einem kompletten Streicherensemble intoniert werden.

Vermutlich muß man das Album etwas verstehen lernen, um es genießen zu können, d.h. eine gewisse Affinität zur Country-Musik entwickeln. Wer eine Abneigung gegen „wimmernde" Steelgitarren und „kratzende" Fiedeln hat und diesen Klängen daher auch künftig fernbleiben möchte, verpaßt allerdings eine gute Gelegenheit, sich dieser geheimnisumwitterten Welt anzunähern.

Frank Weißenborn

>> „Pay The Devil" von Van Morrison ist bei Polydor (Universal) erschienen.

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