Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Monster der Aufklärung

Glasklare Analysen kollektiver Visionen von Jörg Buttgereit und Freunden

„Für den Neurotiker, sagt Freud, ist das Wiederholen seine Art des Erinnerns. Godzilla, so die Legende, ist Japans Art, das Trauma der Atombombe zu bewältigen. Die einstmalige Bedrohung kehrt gezähmt als Helfer zurück." Soweit Franz Rodenkirchens extrem kompakte Zusammenfassung im Buch Japan, die Monsterinsel aus dem Kapitel „Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster". Das Buch ist gegliedert in drei Teile. Teil 1 heißt „Godzilla", Teil 2 „Gamera" und Teil 3 „Guila, Gappa, Furankenshutain und Kingu Kongu". Daran schließt sich noch ein Filmindex und eine Autorenliste an. Gründlich informieren können soll sich der an japanischen Monsterfilmen interessierte Leser – und nicht langweilen. Und so gibt Jörg Buttgereit (bekannt als Filme- und Hörspielmacher: Nekromantik, Der Todesking oder Captain Berlin versus Dracula) neben seinen ausführlichen Filmbesprechungen, die jeden (!) in Deutschland erschienenen japanischen Monsterfilm chronologisch abhandeln, noch mehr als ein Dutzend selbstgeführte Interviews plus 18 Filmbesprechungen von Co-Autoren (Freunden) sowie DVD-Tips bei.

Ein Buch nur für Fans des Genres? Weit gefehlt. Selbst denjenigen Menschen, denen sich noch nie im Leben ein japanisches Monster zeigte, denen der Name Godzilla ­ Japaner sagen Gojira ­ noch niemals zu Ohren kam, sei diese Anthologie mit den Monster-Texten empfohlen. Das Ziel, das sich Buttgereit hier gesteckt hat, ist die systematische Heranführung an ein Filmgenre, das zwar populär ist, dem über profane Unterhaltung hinaus aber gemeinhin keine Relevanz zugesprochen wird. Nein, Monsterfilme machen Spaß ­ während sie gleichzeitig unaufgearbeitete gesellschaftliche wie private Diskussionsbedürfnisse befriedigen. Fragen tauchen auf, ob die spezifisch japanische „Monster-Kultur" vielleicht dafür steht, daß viele Japaner den letzten Weltkrieg mit den Atomangriffen als „Naturkatastrophe" begreifen und Monster die Überlegenheit der Natur verkörpern, wodurch Minderwertigkeitsgefühle durch die Kriegsniederlage gemildert werden konnten.

Der in Deutschland bekannteste Charakter unter den Japan-Monstern dürfte unangefochten Godzilla sein. Sein Aussehen, das sehr in Richtung Tyrannosaurus Rex geht, macht die erste Annäherung bzw. das Wiedererkennen für Europäer oder Amerikaner leicht. Weniger leicht zu verstehen ist das Schauspiel und die Inszenierung der Filme, wie sie die Japaner mögen. Das heißt, in Japan hat sich ein besonderes Verständnis für die Darstellung von Szenen und Charakteren im Film herausgebildet. Aber auch das No-Theater (wo während der Aufführung Kulissen auf der Bühne verschoben werden) oder das Kabuki-Theater (wo alle Rollen von Männern gespielt werden) erscheinen uns im Westen zunächst eher fremd. Adjektive wie „kindlich", „naiv" oder „billig" würden das, was in den Filmen gezeigt wird ­ und wie es inszeniert wurde ­ am ehesten treffen, wenn man die westlichen Sehgewohnheiten als Grundlage nähme. „Ein Großteil des Publikums der Vereinigten Staaten will Spezialeffekte sehen, die es aus 100 Millionen Dollar teuren Produktionen kennt. Ein Godzilla-Film kostet aber nur 10-12 Millionen Dollar", umschreibt J.D. Lees, Herausgeber des Monster-Magazins G-Fan (von Beruf Grundschullehrer) im Interview die Problematik.

Japanische Mythenwesen und die Lesart japanischer Schauspielinszenierung müßten also erst einmal als durchaus beabsichtigt verstanden werden, damit man sie genießen kann. „Glauben Sie mir, eigentlich fängt der Spaß erst an, wenn man sich in die Materie des ,Kaiju Eiga' (des Monster-Films, A.d.A.) vertieft", sagt Buttgereit im Einleitungstext. Und was man schaut, wenn man sich als Einsteiger eine „perfekte Fassung mit englischem und japanischem Ton" von der 1971er Produktion Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn besorgen konnte, das beschreibt Co-Autor Olaf Möller so: „In einer Einstellung sieht man Menschen über eine Lichtung gehen, sie hören etwas, schauen nach oben. Ein brennendes Heuschreckenkörperteil fliegt über sie hinweg und landet irgendwo außerhalb des Bildes. Der Mensch kann nur staunen, zu gewaltig ist das Bild."

Dieses Buch macht Spaß ­ und ich werde mit der Zeit neugierig auf so einen lehrreichen Trivialfilm wie z.B. Godzilla ­ Frankensteins Kampf gegen das Teufelsmonster von 1971, mit dem ­ laut Buttgereit ­ sogar der katholische Filmdienst etwas anfangen konnte, weil er von Umweltverschmutzung und Industrialisierung handelt. Der Film wurde in ein Buch mit dem Titel The Fifty Worst Films of All Times aufgenommen, und Buttgereit befragt den Regisseur Toshinobu Ohi (in den Fünfzigern Regieassistent bei Akira Kurosawa) zu diesem Sachverhalt. Dessen Antwort ist so entwaffnend wie selbstbewußt: „Ich bin sehr stolz, zusammen mit Filmen wie Letzes Jahr in Marienbad und Iwan der Schreckliche als einer der fünzig schlechtesten Filme nominiert worden zu sein."

Daß es genialen Trash geben kann, das verstehen viele Menschen manchmal nicht richtig. Daher braucht es Bücher wie die Monsterinsel. Und beileibe nicht alle Kaiju Eiga lassen die genauen Begutachter als guten Trash durchgehen. Es hagelt zornige Kritik, wenn sich die Macher nicht mit der gebührenden Hingabe an ihr Werk gemacht haben oder dreist klauen, ohne etwas wirklich Originelles zuzutun. Noch weitere Monster werden behandelt, von denen die als menschenfreundliches Gegenstück zu Godzilla entworfene Gamera, eine (atomare) Riesenschildkröte, die populärste sein dürfte. Besonders Kinder lieben Gamera, da ihre Geschichten bei weitem märchenhafter und phantasievoller sind als die mit Godzilla. Fast immer von einem Schauspieler verkörpert, treten Geschöpfe wie King Kong, Rodan, ein Flugsaurier, Mothra, die Riesenmotte, menschengroße Seesterne aus dem All, unsichtbare Monster, der Flüssigmensch, ein Riesenwaran usw. auf. Im Gegensatz zu amerikanischen Gruselschockern soll und muß sich kein Mensch vor Japan-Monsterfilmen fürchten, denn sie helfen immer den Guten und beschützen sie. Buttgereit zitiert dazu Stuart Galbraith, der 1994 ebenfalls ein Buch zu Japan-SF, -Fantasy und -Horrorfilmen veröffentlichte: „If I wanted the real world, I'd watch a Frederick Wiseman movie."

Und dessen Filme sind auch unbedingt zu empfehlen!

Jörg Gruneberg

* Jörg Buttgereit & Freunde: Japan – die Monsterinsel. Martin Schmitz-Verlag, Berlin 2006. 24,50 Euro

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