Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
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Mähdrescher und polyglotte Style-Kennerschaft

Spektakel und Wirklichkeitsinszenierung: Polen präsentiert sich in der Kulturbrauerei

Noch ist es nicht so weit, und es ist auch noch nicht absehbar, ob wir in wenigen Jahren erleben werden, daß sich unser Nachbarland Polen in Deutschland auf die Suche nach Arbeitskräften macht. Einstweilen ist es nur die Künstlergruppe CENTRALA RYBNA aus Pozna´n, die den Berlinern „attraktive Arbeitsangebote" aus Polen unterbreitet. Sie machen sich im Auftrag des polnischen Arbeitsamtes auf die Suche nach Arbeitswilligen, die in das „Wirtschaftswunderland Polen" kommen wollen: „Werden Sie Pionier, seien Sie dem Zeitgeist voraus und werden Sie jetzt schon Gastarbeiter in Polen."

Die Realität sieht freilich anders aus. Das Lohnniveau klafft noch immer weit auseinander, sonst würde der Electrolux-Konzern das Nürnberger AEG-Werk nicht durch ein polnisches ersetzen. Kein Deutscher würde für polnischen Lohn arbeiten, und die Sprache möchte auch kaum jemand lernen ­ nicht mal in Berlin und Brandenburg, wo das naheliegend genug wäre. Schlechte Zeiten also auch für die polnische Kultur in Deutschland? Nein, das kann man allerdings auch nicht behaupten.

Schon zu Zeiten des Kalten Krieges kamen durch das DAAD-Künstlerprogramm polnische Autoren nach Westberlin, u.a. so bekannte wie Witold Gombrowicz und Zbigniew Herbert. Das polnische Kino und die polnische Musik haben seit Jahrzehnten einen guten Ruf, Andrzej Wajda oder Witold Lutoslawski sind Namen, die man kennt. Das Festival TERrA POLSKA, das in der letzten Aprilwoche über diverse Bühnen in der Kulturbrauerei geht, will nun das Augenmerk auf die jüngere, die Nach-Wende-Generation der polnischen Künstler lenken, wobei Film und Unterhaltungsmusik die Schwerpunkte bilden werden.

Aber es wird auch einen „Polenmarkt als Wirklichkeitsinszenierung" geben. Er soll den Hof der Kulturbrauerei beleben, Piroggen, T-Shirts und CDs unter die Leute bringen. Wer erinnert sich noch an den Berliner Polenmarkt, der keine Wirklichkeitsinszenierung, sondern ein großer Schwarzmarkt war? Das ist lange her und nur mehr ironischer Bezugspunkt. Die Zeiten haben sich geändert.

Und ändern sich weiter. Denn während der polnische Regierungschef gegen Schwule und Lesben hetzt, hat der 1980 geborene Regisseur Piotr Matwiejczyk einen Film über ein schwules Paar gedreht: eine schwierige Beziehung, die einer der beiden geheimhalten will, während der andere für einen offenen Umgang ist. Andere Filme von in den siebziger Jahren geborenen Filmemachern handeln von Pubertätsproblemen, Jugendlichen, die in HipHop ein Heilmittel sehen, oder Provinzschauspielern.

In der polnischen Musikszene, deren Protagonisten sich während des Festivals mit Berliner Gruppen mischen, findet man heute natürlich auch alle aus dem Westen bekannten Musikmoden: Punkrock ebenso wie Gitarrenromantik, die eine Band mit dem hübschen Namen: „Mähdrescher zum Einsammeln der Hühner in den Dörfern" präsentiert. Aber es gibt auch „Klezmer-Jazz" (Meritum) und „polyglotte Style-Kennerschaft" (Sydney Polak).

Und natürlich gibt es in Warszawa längst auch Slam-Poetries. Ein „Poetry Gig" rundet das Programm von TERrA POLSKA ab und präsentiert den polnischen Ober-Slammer Bohdan Piasecki. Der gilt als innovativer Lyriker, lehrt sogar an zwei Universitäten und wird seinen deutschen Kollegen, den etwas dumpfbackigen Bastian Böttcher sicher mit Leichtigkeit an die Wand performen.

Hans W. Rust

* „TERrA POLSKA", von 24. bis 29. April in der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg, www.terrapolska.de

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