Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen: funkenflug

Zuerst mutet der neue Trikont-Sampler Creative Outlaws – US-Underground 1962-1970 nicht sonderlich originell an. Und dann fängt das Ding auch tatsächlich noch mit der bekannten Hendrix-Demontage der US-Nationalhymne an, die ihm auf dem Woodstock-Festival zum Durchbruch verhalf. Allerdings zeigt der Sampler hier schon seine Qualität, denn diese Version ist nicht auf der Schlammwiese vor lauter bekifften Hippies entstanden, sondern ein halbes Jahr zuvor in der altehrwürdigen Royal Albert Hall in London. Und beim genauen Hinhören klingt diese Aufnahme auch viel aggressiver und zerstörerischer als die spätere Version.

Creativ Outlaws ist nicht unbedingt ein musikarchäologischer Meilenstein, denn viele der 22 Songs zwischen Experimental-Blues, Alternativ-Folk und Prä-Punk haben durchaus einen bestimmten Bekanntheitsgrad. Dennoch ist die CD mit soviel Emphase zusammengestellt, daß der Funke der Begeisterung sofort überspringt. Diesen Funkenflug verdankt die CD teilweise den grandiosen Linernotes von Martin Büsser. So wird beim Hören von dem alten Zeug noch einmal deutlich, warum das aktuelle Rock-Revival zwar für eine Belebung auf dem Musikmarkt gesorgt und uns auch einige tolle Konzerte beschert hat, aber letztendlich auch schon wieder so langweilig, weil vorhersehbar ist: Etwas mehr Experimentierlust wäre also mal wieder angebracht.

Lagos kann man wohl zu Recht als eine der krassesten Metropolen Afrikas ­ wenn nicht gar der Welt ­ bezeichnen. Der Sampler Lagos ­ Stori Plenti (Out Here Records) dokumentiert eine musikalische Szene zwischen HipHop, Dancehall und afrikanischem Roots-Rhythm. Rap erweist sich dabei als optimales Medium für Stori Plenti, die vielen Geschichten, die zu erzählen sind, denn die einfachen Produktionsbedingungen ermöglichen es den Jugendlichen überhaupt erst, ihre Stimme zu erheben. So glänzt der Sampler nicht unbedingt mit 1A-Styles, wohl aber mit ungefilterten Zustandsbeschreibungen einer angestauten Wut: Wut über die Korruption, den Mangel an Bildung und Infrastruktur ­ egal ob es um die medizinische Versorgung oder Trinkwasser geht ­, Wut über ein Land, das trotz oder vielleicht wegen seiner Rohstoffe am Abgrund steht. So prangert Eedris Abdulkareem in seinem „Letter to the President" genau diese Zustände an und kann sich sicher sein, gehört und verstanden zu werden. Und das ist in Nigeria, wo über ein Drittel der Menschen weder lesen noch schreiben kann, besonders wichtig. Es geht in fast allen Songs aber auch um Abgrenzung vom überkommenen System und somit um Identitätsfindung in dem runtergerockten Land, aus dem es einfach keine positive Schlagzeile geben will: So beschreibt Terry tha Rapman in „Hi, I am a Nigerian" nicht nur seinen Alltag, sondern schafft trotz aller Derbheit auch Anknüpfungspunkte über die HipHop-Subkultur hinaus.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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