Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Medienkunst im Schullandheim

Detlev Schneider und Carsten Seiffarth über ihr Projekt Tesla im Podewils'schen Palais

Das Podewil heißt jetzt TESLA im Podewils'schen Palais. Seit Carsten Seiffarth, Detlev Schneider und Andreas Broeckmann in dem barocken Repräsentationsbau das Regiment übernommen haben, hat er nicht nur einen neuen Namen, sondern auch ein neues Profil: Das nach dem Elektroingenieur Nikola Tesla benannte Haus in der Klosterstraße ist seit dem Mai letzten Jahres Berlins Medienkunstlabor. Tanz und Wissenschaft, Musik und Medienkunst finden hier grenzüberschreitend zusammen. So wird etwa im April Jo Fabian im Rahmen des deutschen Tanzkongresses eine Choreographie zeigen, bei der er die Autorschaft auf mehrere Kollegen verteilt. Lillevan und Zeitblom stellen am Monatsende eine „Kino-Installation" mit dem Titel Bioskop vor.

www.tesla-berlin.de

Wie ist es zu dieser Neubespielung und Neuorientierung des Podewil als Tesla gekommen?

Schneider: Es gab eine Ausschreibung der Senatsverwaltung für Kultur, und wir haben uns gemeinsam mit zehn oder elf anderen Menschen und Menschengruppen beworben, die sich alle überlegt haben, wie man dieses Haus, das ja in den letzten Jahren einigermaßen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden war, wieder in die Wahrnehmung bringen könnte. Wir, das sind: Andreas Broeckmann, der zugleich die Transmediale leitet, Carsten Seiffarth, der nebenan in der Parochialkirche seine Klangkunstgalerie hat, und ich, der ich in den letzten Jahren versucht habe, das Festspielhaus in Hellerau zu einem Ort für performative Experimente zu machen, die mit digitalen Medien arbeiten. Uns verbindet, daß wir in jeweils unterschiedlichen Segmenten von Kunst mit Medien gearbeitet haben, und deswegen kamen wir auf die Idee, das in Berlin längst überfällige Medienkunsthaus für diesen Ort hier vorzuschlagen.

Wir waren uns einig, daß das Haus nur dann eine Lebenschance hat, wenn man versucht, ein sehr klares Profil zu fahren. Bislang gab es hier eine Reihe von kuratorischen Schienen, die miteinander nur sehr lose verbunden waren und die sich nur den Ort und die Projektgelder geteilt haben.

Seiffarth: Wir haben natürlich alle unseren Background, aber unsere Idee war, hier nicht so ein Spartenhaus aufzumachen. Wir machen ein Programm, das jenseits dieser Gattungsgrenzen funktioniert, so wie Kunst ja überhaupt gegenwärtig funktioniert, und wir entwickeln das Programm deshalb auch gemeinsam.

Schneider: Wir haben also ein Exposé geschrieben, in dem wir sagten, daß wir in einer Stadt, deren Politiker nicht müde werden zu betonen, daß die einzigen nachwachsenden Ressourcen die Wissenschaft und die Kunst sind, etwas tun wollen, was diese Bereiche exemplarisch verbindet. Es gab dann ein eindeutiges Votum der Jury für unseren Vorschlag, und wir haben jetzt einen Dreijahresvertrag mit der Option auf Verlängerung um weitere zwei Jahre.

Ist dieses Haus denn überhaupt geeignet für das, was Sie hier machen wollen?

Seiffarth: Fangfrage! Vom ganzen Habitus her ist das Haus eher ein Bürohaus oder ein Schullandheim. Und im Gegensatz zur Gründungsphase des damaligen Podewil Anfang der neunziger Jahre ist das Haus jetzt zu zwei Dritteln von Büros, etwa des Museumspädagogischen Dienstes, besetzt. Wir könnten uns schon vorstellen, in einer besseren Umgebung und Infrastruktur zu arbeiten. Auf der anderen Seite haben wir uns für dieses Haus beworben und hatten immer die Idee: Wir werden das schon schaffen.

Die Grundidee ist, das Haus als offenes Kunsthaus zu betreiben, das fünf Tage in der Woche, von Dienstag bis Sonnabend, geöffnet ist. Was wir nicht wollen, ist diese Festivalisierungskultur, wo zwei Wochen lang irgendein Festival stattfindet, dann ist eine Woche Pause und dann kommt das nächste Festival. Wir wollen ein lebendiges Kunsthaus sein, wo man einfach hinkommen kann. Man kann sich auch bloß hier hinsetzen und im Hotspot kostenlos das W-LAN nutzen. Das Ganze hat aber nicht diesen lockeren Charakter, wie ihn junge Menschen angeblich heute brauchen. Das ist hier schon eine andere Qualität. Und viele Leute sehnen sich ja auch danach, daß es bei einem Konzert mal nicht im Hintergrund klappert, weil die Bar einen guten Ausschank machen muß. Wir sind kein Club, wir sind subventioniert und können deshalb auch andere Formate anbieten.

Schneider: Wir haben unterschiedliche Programmschienen in Arbeit genommen: Einmal einen Programmbereich, der mehr mit kleinen Veranstaltungen arbeitet, mit diskursiven Veranstaltungen, etwa die Serie „radiotesla", wo Theoretiker und Praktiker über Vergangenheit, Gegenwart und die mögliche Zukunft des Mediums Radio nachdenken. Es gibt außerdem ein Videoprogramm im Foyer, und am Wochenende finden im „Kubus", dem ehemaligen Theatersaal, die großen kuratierten Projekte, Performances, Konzerte, Installationen statt.

Wir begreifen uns als offene Plattform, an die sich andere Initiativen andocken und die Infrastruktur nutzen können. Wir behaupten nicht, daß wir die créateurs des gesamten Programms sind. Das unterscheidet uns prinzipiell von anderen Kunstinstituten in der Stadt, wo Programm und „Intendanz" identisch sind.

Sie haben im Mai letzten Jahres mit Ihrem Programm begonnen. Wie ist die Resonanz?

Schneider: Das Interesse der Künstler ist riesengroß, weil es einen solchen Ort bislang nicht gab. Wir können uns fast nicht retten vor Projektvorschlägen und Kooperationsangeboten aus ganz Europa. Es gibt auch ein Publikum, das immer zahlreicher wird und das wir uns natürlich noch zahlreicher wünschen. Aber das dauert. Das ist ein ganz normaler Prozeß, wenn man ein Haus derart umformatiert.

Außerdem haben wir von Anfang an klargemacht, daß wir uns nicht so sehr zum Schauraum machen wollen mit diesem Haus hier, sondern daß es mehr ein Arbeitsort für Künstler sein soll ­ ein Ort, wo Experimente möglich sind, wo Arbeit möglich ist, die nicht gleich zu einer Verwertung führen muß und die sich nicht gleich beglaubigen muß durch immense Zuschauerzahlen. Wir wollen mehr ein Labor sein, ein Schutzraum.

Welche Möglichkeiten haben Künstler hier?

Schneider: Wir vergeben Residenzen für bestimmte Projekte, also nicht für Künstler wegen ihres Namens, sondern aufgrund konkreter Projektvorschläge, die uns gemacht werden. Die beherbergen wir bis zu sechs Monate. Es geht dann darum, daß in unseren Ateliers in sehr großer Ruhe ein Projekt begonnen oder weitergeführt werden kann. Wir haben dafür sieben Räume, die teilweise auch als „open studios" öffentlich zugänglich sind.

Seiffarth: Wir denken das Haus als einen Produktions- und Diskursort und nicht als einen reinen Präsentationsort: Das macht die mediale Vermittlung natürlich schwieriger. Denn alles schaut auf die Präsentation, auf große Namen und Ereignisse und nicht auf die Produktion. Ein „open studio" zum Beispiel ist da zu unspektakulär.

Schneider: Uns geht es um Kunst und nicht um den Kulturbetrieb. Wir beschäftigen uns auch gar nicht damit, wie man Projekte in Genres rubrizieren kann, ob das jetzt Tanz, Konzert oder sonstetwas ist. Wir sehen davon einfach ab. Das hat natürlich den Nachteil, daß die Feuilleton-Redaktionen nicht wissen, welchen ihrer Spezialisten sie herschicken sollen.

Seiffarth: Entscheidend ist, daß wir geistigen und materiellen Support für die Entwicklung von Projekten bieten können. Wir hatten z.B. im Februar hier den DAAD-Stipendiaten Takumi Endo zu Gast. Gemeinsam mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD hatten wir die Idee, Endo im „open studio" einen Prototypen seiner geplanten Installation „Phonetica" entwickeln und bauen zu lassen. Und die große Installation wird jetzt in Tokio realisiert, mit einem enormen Budget.

Ein Medienkunsthaus ist ja sehr angewiesen auf eine entsprechende technische Infrastruktur. Wie ist es um die bestellt im Podewils'schen Palais?

Schneider: Das ist eines der Probleme, die wir vorgefunden haben. Das Haus wurde vorher als Ort für theatralische Vorgänge genutzt. Deshalb ist die Technik des Hauses eine Bühnentechnik. Wir arbeiten jetzt langsam aber sicher daran, das auf unsere Bedürfnisse umzustellen. Wir haben eine einigermaßen akzeptable Beleuchtungsanlage, aber schon bei der Tontechnik hapert's.

Seiffarth: Und natürlich fehlen auch Produktionsmittel. Eigentlich wären größere Investitionen nötig. Wir versuchen halt erst mal, mit wenig viel zu machen. Das ist ja manchmal hilfreich.

Wie vernetzen Sie in Ihrem Programm Wissenschaft und Kunst?

Seiffarth: Gerade im Bereich der medialen Künste gibt es vielfältige Verknüpfungen
zu Wissenschaftskontexten und technologischen Entwicklungen. Bei der Auswahl legen wir besonderen Wert auf wissenschaftsbasierte Projekte, auf die Frage, wie sich Technologien auf Ästhetik, Wahrnehmung und Rezeption auswirken. Es gibt z.B. einige Projekte, die sich auf den Bereich Elektrizität beziehen, die Grundlage aller medialen Künste. Deshalb ist Tesla, der sowohl den Wechselstrom als auch die drahtlose Kommunikation erfand und der dieses Jahr 150 Jahre geworden wäre, unser Namenspatron. Wir starteten letztes Jahr das „Domestizierte Blitz"-Projekt von Jan Peter E.R. Sonntag, wo eher laborhaft und aus künstlerischer Perspektive Fragen zur Elektrizität mit eingeladenen Experten bearbeitet wurden. Das war eine große öffentliche Werkstatt im Kubus, und im November diesen Jahres wird es nun dazu weiterführend ein wissenschaftliches Symposium geben.

Außerdem ist unser Residenzprogramm eng mit den Salon-Veranstaltungen verbunden, zu denen wir immer wieder Wissenschaftler einladen. Das ist sowohl für das Publikum als auch für die Künstler interessanter.

Interview: Florian Neuner

 
 
 
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