Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mein Gekotze macht euch arm

"Urbane Penner" – die selbsternannte kreative Elite Berlins schlägt zurück

In dieser Stadt sieht man UNS überall. WIR verwuscheln kunstvoll UNSE-RE Haare und nesteln an UNSEREN iPods herum. WIR trinken Beck's und simsen unentwegt Botschaften in die mobiltelefonische Welt. WIR hocken in angemieteten Ladenlokal-Büros und gestalten Webseiten, Plakate und schön anzusehende Bucheinbände. WIR verkaufen in UNSEREN kleinen Läden selbstgemachte Mode und schicke Möbel. WIR fabrizieren echte Kunst, organisieren Festivals, geben Zeitschriften für elektronische Lebensarten heraus und machen Party. WIR bevölkern Cafés mit UNSEREN iBooks. WIR schreiben Drehbücher, Sendekonzepte, Romane, Projektanträge, Doktorarbeiten und manchmal auch Artikel für die eine oder andere Stadtillustrierte. Artikel, die auf UNSERE verzweifelte Lage aufmerksam machen sollen. Denn UNS geht es wirklich nicht gut. Zwar sind WIR die ungemein hippe, unheimlich kreative und unglaublich hochqualifizierte Elite Berlins und haben zudem seit Mitte Februar auch einen eigenen Namen. Aber das hilft alles nichts, denn WIR sind arm. WIR sind arm und WIR haben keine Wahl: WIR müssen Berlins „urbane Penner" sein.

Wie gut dagegen haben es z.B. ländliche Schläfer, provinzielle Landstreicher oder schlicht ganz einfache Penner, die sich zwar auch irgendwie in der Stadt aufhalten, aber deshalb noch lange nicht als urban gelten können (so ganz ohne iPod und schicke Möbel). Sie müssen keine Mode entwerfen, sondern nur Korn hinterkippen. Sie sind nicht gezwungen, Doktorarbeiten zu verfassen, sondern haben das Glück, die Motz zu verkaufen. Sie sind nicht dazu verdammt, schön anzusehende Bucheinbände zu gestalten, sondern bloß ihren allnächtlichen Schlafplatz auf der Parkbank. Früher hat man solche Subjekte ja in Arbeitslager gesteckt, aber da sie keine iBooks besitzen, geht das natürlich ebensowenig wie die regelmäßige Deportation zum Brunchbuffet am Wochenende. Völlig frei vom Brunchzwang wissen diese Leute ja überhaupt nicht, wie schwer WIR urbanen Penner es haben. Die lachen wahrscheinlich nur, wenn WIR ihnen erklären wollen, wie arm WIR mit unseren 1000 Euro monatlich dran sind. Ja, klar, die haben natürlich leicht lachen. Denn eine Parkbank kostet ja nicht mal einen Bruchteil von so einer Ladenlokal-Miete. Jaaa, die machen sich's leicht, während WIR urbanen Penner sehen müssen, wo WIR bleiben.

Aber WIR geben nicht auf. Seit UNSERE Vordenkerin Dr. des. Mercedes Bunz in der zitty ihren bahnbrechenden Artikel „Meine Armut kotzt mich an" veröffentlichte, erbebt die nicht mehr ganz so heimliche Hauptstadt des leeren Kuratorengeschwätzes. Ich sage nur: Entweder du bist Teil des Problems oder Teil der Lösung. Und WIR setzen auf die Lösung ­ auf die endgültige Endlösung der Urbanen-Penner-Frage. Klarer Fall, die Strategie muß lauten: Verschärfung der Verhältnisse. Rauf mit den Mieten! Rauf mit den Fahrpreisen! Rauf mit den Getränkepreisen in den Cafés! Ordentliches Entgelt auch für Strom und W-LAN! Essen ist hier sowieso viel zu billig. Und auch das Koks muß eindeutig teurer werden. Endlich Schluß mit dieser Berliner Kuschel-Atmo! WIR fordern Münchner und Hamburger Verhältnisse! Denn sonst werden WIR ja bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag von Mami und Papi alimentiert und kriegen UNSEREN Arsch nie hoch. WIR brauchen endlich eine schlagkräftige Stadtguerilla aus Miethaien und Spekulanten, die die Preise nach oben treibt, damit auch WIR die Preise nach oben treiben können und durch UNSERE ungemein hippe, unheimlich kreative, unglaublich hochqualifizierte Arbeit richtig reich werden. Ja, richtig reich, wie die in München und Hamburg. So reich, daß WIR nach Zehlendorf ziehen oder uns eine Acht-Zimmer-Wohnung am Gendarmenmarkt kaufen können, nachdem WIR UNSEREN kleinen urbanen Erfahrungshunger zwischendurch in Friedrichshain, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg gestillt haben. Denn letztlich wollen WIR natürlich ­ wenn auch mit anderen Mitteln ­ dahin zurück, wo WIR herkommen: In das wohlhabende und sonnige Bürgerglück, das uns Mami und Papi in Schwäbisch Hall so erfolgreich vorleben.

Dahin zurückzuwollen, wo man herkommt, ist ganz natürlich. Da kann man UNS keinen Vorwurf machen. Und Vorwürfe wollen WIR ­ mit Verlaub ­ auch bitte dann nicht zu hören bekommen, wenn WIR mal wieder euch Zurückgebliebene besuchen. WIR haben nichts gegen Euch. WIR mögen Euch. Denn schließlich seid Ihr es ja gewesen, die eine so wunderbare Kulisse für UNSERE wilden Jahre als urbane Penner abgegeben habt. WE will always love you. Aber trinkt nicht zuviel!

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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