Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nicht neu, einfallslos, unsozial

Der Bundesrat will den Gang zum Sozialgericht kostenpflichtig machen

Immer mehr Arbeitslose, immer mehr ALG-II-Empfänger, immer mehr Bescheide vom Amt. Und mit diesen Bescheiden geben sich diejenigen, die sie im Briefkasten finden, immer seltener zufrieden. Sie legen – oft zu Recht – Widerspruch bei den Behörden ein, und wenn das nicht das erwünschte Ergebnis bringt, geben viele nicht auf. Sie klagen.

Ein Drittel der Klagen vor dem Berliner Sozialgericht in der Invalidenstraße haben irgendetwas mit Hartz IV zu tun. Im Jahr 2005 wurden fast 7000 eingereicht. In ca. 30 Prozent der „Hartz"-Verfahren erreichen die Kläger mindestens einen Teilerfolg gegenüber den Behörden, was der Quote in anderen Rechtsgebieten entspricht. Der Sozialrichter und stellvertretende Pressebeauftragte des gemeinsamen Landessozialgerichts von Berlin-Brandenburg, Axel Hutschenreuther, beschreibt die Situation als „eine ganz erhebliche neue Belastung" für die Gerichte. „Die Klagezahl wird zunehmen, vor allem, wenn die Jobcenter prüfen, ob die Wohnungen zu groß sind oder zu teuer."

Zu diesem Problem haben sich die Herren (und wenigen Frauen) des Bundesrates etwas ausgedacht: Sie wollen von Menschen, die arm sind, Geld verlangen, wenn sie zu ihrem Recht kommen wollen. 75 Euro soll man bezahlen müssen, und wenn man höher geht, zum Landessozialgericht, 150 Euro. Vor dem Bundessozialgericht soll die „Verfahrensgebühr" 225 Euro betragen.

Diese „Lösung" ist eigentlich nichts Neues. Der aktuelle Versuch ist der fünfte innerhalb von anderthalb Jahrzehnten, solche „Eintrittsgelder" beim Sozialgericht einzuführen. Auf die Idee, dafür zu sorgen, daß korrekte Bescheide schon von Anfang an ausgehändigt werden und damit Sozialgerichtsverfahren, zumindest teilweise überflüssig werden, sind sie nicht gekommen.

Deshalb macht der DGB sich Sorgen. Ursula Engelen-Kefer warnt vor Folgen, „die sich negativ auf den sozialen Frieden" auswirken könnten. Zustände wie aktuell in Frankreich sind bekanntlich Alpträume für gutsituierte deutsche Gewerkschaftsbürokraten. Etwas naiv stellt einblick, das Info-Blatt des DGB, fest, daß solche Gerichtsgebühren sogar gegen das Grundgesetz (§19) verstoßen. Da heißt es, „daß jedem, dessen Recht verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Von Wegezoll ist dort keine Rede". Als ob man nie etwas von Anwaltskosten gehört hätte und daß die Reichen doch (fast) immer gewinnen und die Armen öfters auf ihr gutes Recht verzichten müssen. Bekanntlich führen die Reichen aber keine Sozialgerichtsverfahren. Wer in der Länderkammer hat jemals ein Sozialamt als „Kunde" besucht? Mit diesem Argument kommt man dort bestimmt nicht weit.

Ansonsten ist die Annahme des Bundesrats und des Landessozialgerichtschefs, daß durch ein „Eintrittsgeld" die Anzahl der Klagen erheblich reduziert werde, so der DGB, beweislos. Eher wird die Klagewelle durch mißverständliche Amtsbescheide verursacht, die öfters aus Textbausteinen bestehen, die nur durch Gerichte ordentlich erklärt werden können. Durch die Gebühren wird sich die Anzahl von Prozeßkostenhilfeanträgen erhöhen und damit die Staatskosten. Kosten werden auch entstehen wegen der damit verbundenen Bürokratie, eben wegen denen, die sich um das Einsammeln des Geldes kümmern müßten (und das Wieder-Auszahlen, falls man vor Gericht gewinnt).

Bei der Volkssolidarität weiß man, worum es eigentlich geht: „Damit würden vor allem diejenigen von der Nutzung von Rechtsmitteln ‚abgeschreckt', die in besonderem Maße sozial benachteiligt sind." Falls der Bundestag dem Gesetz zustimmt, so Bundesgeschäftsführer Bernd Niederland, „wird damit eine soziale Schwelle eingeführt."

Im Gesetzentwurf, beschlossen vom Bundesrat am 10. Februar, steht klipp und klar als „Alternative" zu Gebührenerhebung: „Keine." Der DGB schlägt vor, stattdessen vermehrt die schon existierende Möglichkeit zu nutzen, Kläger abzustrafen, die angeblich aussichtslose Klagen weiterführen. Diese sogenannten Verschuldenskosten (früher Mutwillenskosten) von mindestens 150 Euro werden als „Korrektiv der Kostenfreiheit", aber auch aktuell als „stumpfes Schwert", gesehen. Der DGB will dieses Schwert etwas schärfen. Eine tolle Lösung!

Einen etwas besseren Ausweg, der die Klagezahlen reduzieren würde, weiß der Potsdamer Richter Hutschenreuther. „Das Problem wäre nur gelöst: wenn es keine Arbeitslosigkeit mehr gäbe." So weit hat der Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes in seinem Vier-Punkte-Papier aber noch nicht gedacht.

Matthew Heaney

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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