Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ein Platz für alle

Der Chattertreff der „Knuddels" auf dem Alexanderplatz

Freitagabend auf dem Alex. Feierabendstimmung. Straßenbahnen voller müder Menschen, die in den Feierabend fahren. Die grauen Fassaden konkurrieren mit dem grauen Himmel. Gerüste, Baulärm und offener Asphalt rahmen das Ganze ein.

Aus einem Ghettoblaster unter der Weltzeituhr plärrt Punkmusik. Jugendliche stehen in Gruppen herum, trinken Bier und Alkopops, irgendwo blitzt auch eine Wodkaflasche auf. Die Gruppen werden beständig größer, man begrüßt sich, manchmal auch lautstark. Von einer Gruppe zur anderen schreit es, Mädchen mit glasigen Augen umarmen ihre Freundinnen. Die Leute sind bunt gemischt. Mädchen und Jungs, Nerds und Prolls, Deutsche und solche mit migrantischem Hintergrund.

Es ist der Freitagabendtreff der knuddels.de-Gemeinde. knuddels.de gilt als Deutschlands größter Jugendchat, täglich treffen sich dort etwa 4000 Jugendliche. Steven ist „Stammi" im Chat, Stammchatter also. Und am Freitagabend trifft er sich eben „real life" mit den Freunden aus dem Chat. Zum Beispiel mit Annika, Oliver und Franzi. Und mit anderen. Kurz nachdem ich ihn angesprochen habe, ist er schon zu einer anderen Gruppe gewechselt und begrüßt, wohl schon etwas lockerer vom Bier, hörbar einen Kumpel. Die Gruppen der Jugendlichen stehen nun auf beiden Seiten der Straßenbahnschienen, und mit Einbruch der Dunkelheit scheint ihnen der Platz allein zu gehören.

Die Geschichte des Chattertreffs begann im Frühjahr 2003 im Treptower Park. Weil es dort immer wieder zu Zwischenfällen kam und schließlich ein Platzverbot ausgesprochen wurde, verlagerte man den Treff im Herbst 2004 an den Alex. Ganz reibungslos laufen die Treffen am Alex auch nicht ab. Mit Einbruch der Dunkelheit fährt eine Wanne auf den Platz zu den Jugendlichen. Die Polizistinnen Pfitzner und Bartel vom Abschnitt 32 behalten die Jugendlichen jetzt im Auge. Als einige Jugendliche den Straßenbahnschienen zu nahe kommen, fordern sie die Gruppe per Lautsprecher auf, Abstand zu halten. Aus Gründen der Ordnung sei das einfach notwendig, betonen sie. Zum Beispiel für das reibungslose Durchkommen der Straßenbahn. Zumal die Knuddels sich nicht nur knuddeln, sondern sich unter Alkoholeinfluß auch hin und wieder prügeln.

Damit es nicht so weit kommt, daß einer der Akteure am Alexanderplatz die Jugendlichen am liebsten vertreiben würde, engagiert sich das Platzmanagement Alexanderplatz. Das Platzmanagement versteht sich als Moderationsnetzwerk. Initiiert wurde es 1998 auf BVV-Beschluß. Es trägt sich je zur Hälfte über die Streetwork-Organisation Gangway e.V. und über Mittel der Stiftung SPI, dem Sozialpädagogischen Institut „Walter May".

Das Platzmanagement versucht, die unterschiedlichen Interessen am Platz zu vereinen, erklärt Rupert Prossinagg, Presseverantwortlicher der drei Platzmoderatoren. Im Blick habe man dabei immer, daß der Alex ein Platz für alle sei, auch für Jugendliche. So veranstalte man jährlich im Frühsommer den Aktionstag „Interaktiv" für junge Menschen. Im letzten Jahr habe man die Aktion „U-18", eine Wahl für Jugendliche, mitorganisiert. Erst kürzlich beschwerten sich die Anwohner über die zu lauten Basketballspieler. Gemeinsam fand man eine Lösung: Das Basketballfeld wurde vor das Rote Rathaus verlegt.

Im Falle der Knuddels haben die Moderatoren, allen voran Sozialarbeiter Heiko Wichert, einen Moderationsprozeß gestartet. Die Baustellensituation auf dem Alex erhöht das Konfliktpotential immens, so daß es nötig wurde, die Jugendlichen zum Standortwechsel zu bewegen. Bisher trafen sie sich zwischen Kaufhof und Park-Inn-Hotel ­ und drohten dort im Notfall die Fluchtwege des Hotels zu blockieren, was den Geschäftsführer des Hotels auf den Plan rief. Die Moderatoren richteten daraufhin zusammen mit den Sozialarbeitern von Gangway e.V. und den wirtschaftlichen Anliegern einen Info-Stand ein. Dort konnten sich die Jugendlichen mit den Gewerbetreibenden unterhalten. Zusammen mit Flyer-Verteil-Aktionen und einem DJ am neuen Standort an der Weltzeituhr konnte man die Knuddels davon überzeugen, sich künftig dort zu treffen. Neben Problemen mit dem Standort seien auch solche mit zu viel Alkohol und Prügeleien im Fokus der Moderatoren. Ein Flyer zum Beispiel verkündet: „Knutschen, Fun und Action sind in! Saufen und prügeln sind out!"

Der Chattertreff werde auch in Zukunft erhalten bleiben, ist sich Prossinagg sicher. Seitens der Stadt und der Polizei bestehe ein großes Interesse, daß der Alex ein Platz für alle bleibe. Und so werden wohl auch in Zukunft die Jugendlichen den Platz jeden Freitagabend erobern.

Marco Gütle

* www.platzmanagement.de

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