Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Sterben muß der Mensch auf jeden Fall

Imre von der Heydts Apologie des Rauchens

Rauchen Sie? fragt Imre von der Heydt seine Leser gleich im Titel seiner „Verteidigung einer Leidenschaft". Die Antwort ist eindeutig: Nein, natürlich nicht, ich bin doch nicht blöd. Stinkende Wohnungen, angegraute Tapeten, muffige Kleidung, Atemnot beim Treppensteigen, verfärbte Haut und Zähne – das sind Dinge, die ich gerne den Rauchern überlasse. Rauchfrei ist das Leben angenehmer.

Dennoch gibt es auch aus der Nichtraucherperspektive keinen Anlaß, von der Heydts Apologie des Rauchens zu verdammen. Er hat ein gut geschriebenes und informatives Buch vorgelegt, dessen Argumente allemal bedenkenswert sind. So unverständlich es auf den ersten Blick erscheinen mag: Wer raucht, tut dies offensichtlich mit Genuß. Deshalb muß, wer gegen das Rauchen kämpft, gute Gründe haben. Doch genau daran mangelt es den Gegnern, meint von der Heydt, und deshalb zeichnen sich Kampagnen gegen den Tabakkonsum zumeist durch lustfeindliche Lebensverneinung aus.

Zunächst ist es wichtig festzuhalten, daß Rauchen eine sehr alte Kulturtechnik ist, die mit der Entdeckung der „Neuen Welt" nach Europa gebracht und auch sofort bekämpft wurde. Religiösen Autoritäten war das Qualmen ein Dorn im Auge; nach der Aufklärung säkularisierten sie sich und wurden Ärzte und Gesundheitsminister. Von der Heydts Auseinandersetzung mit den Gegnern des Tabakkonsums kreist deshalb im Grunde um die neue säkulare Religion, die den Kampf gegen die Sterblichkeit des Menschen angetreten hat.

In diesem Kampf steht die moderne Medizin vor der Aufgabe, Gesundheit
zu definieren ­ angesichts der Vielfalt menschlichen Lebens ein aussichtsloses Unterfangen. Vielleicht ist Jogging oder eine bestimmte Ernährungsweise gesundheitsförderlich. Aber die Moden wechseln, und die Pharmaindustrie erfindet kurzerhand neue Krankheiten. Deshalb, so von der Heydt, bedarf die Medizin geradezu der Raucher, um an ihnen zu demonstrieren, was Gesundheit nicht ist. Und so ziehen sie sich, „mit der Kippe in der Hand die Fahne des Widerstandes schwenkend", den Zorn der „Gesundheitsdiktatur" zu. Für jene, die das Leben an sich für behandlungsbedürftig halten, ist der Raucher ein stetes Ärgernis und wird zum Objekt immer weiterer Maßregelungen.

Von der Heydt setzt allen puritanischen Kampfansagen sein Konzept des lebensbejahenden Genußrauchens entgegen: Er gibt zu, daß der Rauch die Gesundheit beeinträchtigen kann, aber, gibt er zu bedenken, ebenso befördere er auch die Kreativität, Konzentrationsfähigkeit, die Libido und vieles mehr. „Die Zigarette verkörpert auf faszinierende Weise einen Ur-Moment des Lebens: Lust und Begehren: nach Luft, nach Nahrung, nach Liebe, nach Sicherheit, nach Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung." Das Rauchen könne insofern Bestandteil eines erfüllten Lebens sein, dessen Nebenwirkungen weder dramatisiert noch verleugnet werden sollten. Sterben muß der Mensch auf jeden Fall; und darin besteht in den Augen der Moderne der Skandal. Deshalb plädiert von der Heydt für das „Recht auf eine je eigene und äußerst individuelle Gesundheit".

Daß es zwischen Rauchern und Nichtrauchern zu Problemen kommen kann, wird nicht unterschlagen. Hier plädiert der Autor für ein pragmatisches Miteinander und für temporäre Askese. Da der kurzzeitige Verzicht auf den Rauch das Vergnügen um so mehr steigere, könnte bei Behördengängen oder ähnlichem die Zigarette aus bleiben. Umgekehrt müsse es jedoch erlaubt sein, dem Vergnügen in freier Vereinbarung mit den Nichtrauchern zu frönen. Verbote seien unangebracht. So sei es das Recht jedes Gastwirts, den Tabakkonsum in seinen Räumen zu gestatten, schließlich seien „Kneipen nicht als Sanatorien konzipiert".

Warum sollte man sich als Nichtraucher für das Recht auf Tabakkonsum einsetzen? Weil eine neue Kaste versucht, die individuelle Freiheit zu beschneiden mit dem Verweis auf das Gut „Gesundheit". Allerdings hat niemand ein Recht darauf, gesund zu sein. Und niemandem kann Gesundheit zur Pflichtaufgabe gemacht werden, zumal Gesundheit ein Zustand ist, der sich einer eindeutigen Definition entzieht und nur höchst subjektiv beschrieben werden kann. In Opposition zu den Tabakgegnern geht es mit von der Heydt darum, die Kontingenz menschlicher Existenz anzuerkennen und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zu bejahen. Und damit die Freiheit, zur Zigarette zu greifen.

Aber auch im eigenen Interesse sollten sich die Nichtraucher den Mahnungen und Verlockungen der neuen Puritaner widersetzen. Selbst wenn sich der Feldzug heute noch gegen die Raucher richtet, könnten bereits morgen die eigenen Laster zur Sünde wider die Gesundheit erklärt werden. Dann steht man selbst am Pranger.

Benno Kirsch

Imre von der Heydt: Rauchen Sie? Verteidigung einer Leidenschaft. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 17,90 Euro

Foto: Knut Hildebrandt

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 02 - 2006 © scheinschlag 2006