Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Etwas holprig, müßte man eigentlich glätten"

Die BVG belästigt ihre Abonenten mit Musik auf den Niveau ihrer Fahrpläne

Fahrgästen ist insbesondere untersagt: Tonwiedergabegeräte, Tonrundfunkempfänger, Musikinstrumente oder Tonwiedergabegeräte mit Kopfhörern (Walkman o. ä.) zu benutzen, wenn durch die Lautstärke andere Fahrgäste belästigt werden.

Aus den Beförderungsbedingungen der BVG: §4, Absatz 2, 10)

MWeil zu wenige Fahrgäste sich an die Beförderungsbedingungen der Berliner Verkehrsbetriebe halten wollen oder können, hat sich Berlins Lieblingsanstalt (des öffentlichen Rechts) was Feines ausgedacht: Ohrfolter. Aber nur regelmäßige, zahlende Fahrgäste werden bestraft. Seit neuestem erhält der BVG-Abokunde ­ auf Wunsch ­ etwas, um zu verhindern, daß er seinen Walkman doch in die Tram mitnimmt, nämlich eine CD. Der Abo-Song der BVG heißt die Scheibe.

Das Hennickendorfer Gesangsduo Ilona & Peter, das bis jetzt nur mit der selbstkomponierten Hymne „Bei uns im Märkisch-Oderland" auf dem Radar aufgetaucht ist, will etwas größer rauskommen. Die Compact-Disc hat nur einen Durchmesser von elf Zentimetern, aber immerhin ist man jetzt ­ nach einer Zwischenstation auf der Grünen Woche ­ dadurch dauerhaft in der Hauptstadt und nicht mehr (nur) in Rehfelde, Ortsteil Zinndorf, oder auf dem Stadtfest der Interessengemeinschaft Innenstadt Magdeburg e.V. zu Gast.

Zehntausende Fahrgäste, die eine Umweltkarte im Abo innehaben, stürmen sicherlich schon die Abozentrale, um ihren Song-Gutschein gegen die CD einzutauschen. Schließlich ist sie ganz exklu-siv. Statt Goldcard, Trägerkarte. Unter 030/19449 wird man ­ ganz BVG ­ streng belehrt, daß die Scheibe „nicht käuflich zu erwerben" ist. Ich wollte sie aber gar nicht kaufen! Und 650 Euro auf einen Schlag nur deswegen auszugeben, wenn ein 10-Uhr-Ticket oder Schwarzfahren reichen, wäre doch nur doof. Die Pressestelle gibt sich zugeknöpft. Nein, reinhören kann man nicht. Auch nicht ­ kurz ­ übers Telefon. Wieso nicht in der Warteschleife, wie bei Air Berlin, wo man „Flugzeuge im Bauch/Im Blut Kerosin/Kein Sturm hält sie auf/Unsere Air Berlin/Die Nase im Wind/Den Kunden im Sinn/Und ein Lächeln stets mit drin/Air Berlin" (wenn man nicht schon verärgert aufgelegt hat) ins Ohr geblasen bekommt?

Ängstlich, daß bald Straßenbahnfahrer in Lichtenberg morgens um 5 auf dem Betriebshof sich mit einer Firmenhymne „aufwärmen" müssen wie in Japan oder in Wal Mart-Filialen ­ frage ich nochmal beim BVG-Callcenter nach. „Man könnte nicht sagen, daß so was geplant ist", sagt mir die diesmal etwas belustigte Dame. „Ob ich das Lied schon gehört habe? Nee?" Sie auch nicht. Ich darf also aufatmen.

Trotzdem ist es im fernen Osten und in den USA seit langem Usus, mit sogenannten Corporate Hymns die eigenen Mitarbeiter zu quälen, ich meine: die Belegschaft auf das Unternehmen einzuschwören. In Japan dient der Firmensong traditionell der Stärkung des „Wir-Gefühls" und der Motivation der Mitarbeiter im Rahmen des firmeneigenen Leitbilds. Und der Trend hat auch Deutschland ­ und wer weiß, vielleicht auch bald Berlin ­ erreicht.

„Warum sollten die Mitarbeiter sich nicht davon manipulieren lassen?" meint Dirk Möller, Kreativdirektor der Hamburger Werbeagentur Maus Möller, der an der Firmenhymne der dortigen Stromfirma HEW (wie die Bewag jetzt Vattenfall) gearbeitet hat. Einige Tausend Euro muß man für ein professionell aufgearbeitetes Lied ausgeben. Trotzdem, so Möller, sind manche „einfach peinliche Lobeshymnen". Wie sowas überhaupt zustande kommt? „Die Texte kriegen wir von den Firmen geliefert, sie sind inhaltlich nie sonderlich überraschend. Man muß sie in der Regel kürzen, je länger die Texte sind, desto banaler."

Glücklicherweise ­ so weit wir es wissen ­ ist der „BVG-Abo-Song" relativ kurz:

Willst du ins Hardrock-Café gehn/ oder brauchst du Fitness pur/Im Revuetheater 'ne Show ansehn/ins Museum zur Kultur/Ob Großereignis und Event/ das ist ganz einerlei/Mit deinem Abo der BVG/bist du überall mit dabei

Da kannste fahren, sparen und noch vieles mehr/Und wenn du willst, dann steppt für dich sogar der Berliner Bär/ Da kannste fahren, sparen, und was nicht jeder weiß/Du bekommst die ganze Stadt zum Sonderpreis

Dirk Möller dazu: „Das ist so ein üblicher Text eines Firmenlieds, sowas müßte man eigentlich glätten ­ sie sind öfters etwas holprig. Nur dann kann der Text gelingen. Das ist eher ein Werbelied mit Außenwirkung." Glücklicherweise nur für Abokunden, und daher wird die Wirkung begrenzt bleiben. Ob die BVGler den Song auch bald ­ beispielsweise auf Betriebsfeiern, um Personalabbau oder Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich zu vergessen ­ mitgrölen müssen, ist noch nicht bekannt. Das Gerücht, daß Ilona & Peter bald „Big in Japan" sein werden, und im Herbst zu einer Welttournee zu allen Nissan-Autowerken aufbrechen werden, konnte leider nicht bestätigt werden.

Matthew Heaney

(der früher als Abokunde der S-Bahn mit dem Ausflugsatlas als Prämie sehr zufrieden war)

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