Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Endlich: Der Jugendwahn hat ausgedient!

In Berlin hat sich der Verein „Best Age ­ Best Film" konstituiert

Schon Helmut Kohl wußte, daß der Staatshaushalt am sogenannten demographischen Faktor nicht vorbeikommt. Und irgendwann sah sich auch Gerhard Schröder gezwungen, das zur Kenntnis zu nehmen. Folglich wurden die Pforten des rot-grünen Kabinetts flugs wieder geöffnet für die demographische Überalterung der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Was für den Staatshaushalt gut ist, kann ja für's Kino nicht schlecht sein, dachten sich nun offenbar ein paar ältere Herren aus dem Filmgeschäft. Also gründeten sie einen Verein mit dem verheißungsvollen Namen „Best Age ­ Best Film" und gaben am 8. Februar im Filmmuseum ihre erste Pressekonferenz. Da sie pfiffigerweise in der zuvor verschickten Pressemitteilung darüber informierten, daß es ihnen um eine Bevölkerungsgruppe ginge, deren Vertreter sich besonders durch „körperliche Fitneß, einen durch Erfahrung geprägten Geschmack, aber auch Selbstwissen und Selbstkompetenz" auszeichneten, konnte der Autor des vorliegenden Artikels nicht umhin, besagte Pressekonferenz zu besuchen. Denn diese subtile Charakterisierung erfaßt exakt das charmante Wesen des Autors, so daß die Pressemitteilung einer persönlichen Einladung gleichkam.

Mit einem von Erfahrung geprägten Geschmack begab ich mich also beschwingt ins Sony-Center. Mit extremer körperlicher Fitneß nahm ich den Fahrstuhl, um in den ersten Stock zu gelangen. Und mit Selbstwissen und Selbstkompetenz betrat ich schließlich den Konferenzraum des Berliner Filmmuseums. Dort blickten mir zur Begrüßung die sympathisch gealterten Gesichter von Alexander Thies und Klaus Keil entgegen. Thies ist Produzent von Kassenschlagern wie Luther und Bonhoeffer, außerdem der frisch gewählte Vorsitzende von Best Age ­ Best Film. Keil ist Professor am Potsdamer Erich-Pommer-Institut und eines der acht Gründungsmitglieder des Vereins.

Während der anwesende Kameramann cool an seiner Kamera herumfummelte und die schreibende Zunft auf ihre Notizblöcke blickte, um bedauernd festzustellen, daß man an einem Notizblock längst nicht so cool herumfummeln kann wie an einer Kamera, gaben Thies und Keil bekannt, daß das Ziel des Vereins darin besteht, das deutsche Kino wieder attraktiv zu machen für eine Bevölkerungsgruppe, die von Marktforschern fachmännisch als „Best Ager" bezeichnet wird.

Mit „Best Ager" sind Menschen ab dem ungefähr 55. Lebensjahr gemeint. Aber natürlich nicht alle, sondern nur die Wohlhabenden. Irgendwelche armen Schlucker, die zwar über 55 sind, aber ihre paar ALG-II-Kröten zehnmal umdrehen, bevor sie zu ihrem jährlichen Kinobesuch aufbrechen, bei dem sie weder literweise Erfrischungsgetränke noch überteuerten Knabberkram in sich hineinschütten, sind als Zielgruppe natürlich völlig uninterressant. Interessant sind vielmehr Leute im vorgerückten Alter, die ein Eigenheim, zwei Autos, drei DVD-Spieler und vier Fernseher besitzen sowie fünf größere Reisen pro Jahr machen. Mindestens. Und die Eine-Million-Dollar-Frage lautet: Wie lockt man diese Leute von ihren DVD-Spielern und Fernsehern wieder ins Kino, um ihre ungeheure Kaufkraft abzuschöpfen?

Da muß man sich jetzt doch mal zusammensetzen und ganz, ganz doll die Köpfe qualmen lassen. Sollte man Filminhalte nicht viel präziser auf die Zielgruppe der Best Ager hin orientieren? Statt immer nur Sex in der Jugend, mehr Liebe im Alter etwa. Ein tolles Thema! Oder feste Werte, in diesen unruhigen Zeiten. Ganz wichtig! Der deutsche Film muß wieder mehr Werte vermitteln! Ja, genau, wie es etwa ... äh, der großartige cineastische Leckerbissen Luther schon vorgemacht hat. Und überhaupt muß man doch mal ganz grundsätzlich überlegen, ob nicht auch die Kino-Architektur den Bedürfnissen der 55- bis 80-jährigen angepaßt werden müßte. Während ihre enorme Kaufkraft abgeschöpft wird, sollen sich die Leute ja schließlich wohlfühlen und nicht desorientiert durch die Gänge humpeln oder mit einem Bandscheibenvorfall im Kinosessel hängen bleiben. Das alles muß bedacht werden. Und natürlich ähnliches. Und selbstverständlich noch viel, viel mehr. Dazu machten Thies und Keil dann aber glücklicherweise keine näheren Ausführungen.

Zur Erleichterung aller Leserinnen und Leser zwischen 55 und 80 ­ und natürlich auch derer, die es werden wollen ­ kann ich nach besagter Pressekonferenz fröhlich verkünden, daß das Konzept von Best Age ­ Best Film über eine diffuse Programmatik noch nicht hinausreicht. Und wir wollen hoffen, daß es so bleibt. Das Bedürfnis nach Höherem ist allerdings unverkennbar, wie an dem beeindruckend unverkrampften Verhältnis deutlich wird, das der Vorsitzende offensichtlich zum Land und zum Mehr pflegt. Nachdem er nämlich die schmissige These „Der Jugenwahn hat ausgedient!" sachgerecht in den Raum geschmissen hatte, betonte Thies mit ernster Miene, daß es dem gerade gegründeten Verein auch darum gehe, „zu versuchen, ein Bewußtsein zu schaffen für ein Mehr an Kultur für unser Land". Erfreuen wir uns an dieser bemerkenswerten sprachlichen Wendung, die dem derzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten zur Ehre gereichen würde, und hoffen wir ansonsten, daß es auch hier beim bloßen Versuch bleibt.

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 02 - 2006 © scheinschlag 2006