Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Die Nacht hat tausend Augen

Popjournalismus im Selbstbetrachtungs-Resonanzraum

Daß das vorliegende Buch kein Lehrbuch, aber dennoch ein Leitfaden ist, der dem Horizont des Pop-Interessierten irgendwie doch noch ein paar Verzweigungen, Leerstellen und Fragen hinzufügt, ist den engagierten Grundhaltungen der Herausgeber zu danken. Sowohl im einleitenden Text, in dem Michael Büscher über einen historischen Abriß einen nahezu wissenschaflich-strengen Ausblick auf den Inhalt gibt, wie auch in vielen der darauffolgenden Texte merkt man den Autoren und Interviewern ihre Verve durchaus an. Sie reißen da nichts ab, um den Buchmarkt zu sättigen, sondern beschleifen das Thema relativ roh, ohne diesem damit größeren Schaden zuzufügen. Genau darin liegt gleichzeitig die Schwäche dieser Veröffentlichung: Alle Koordinaten bleiben statisch.

Das Buch funktioniert wie eine Podiumsdiskussion mit praktizierenden Pop- Journalisten. Und das Programm fordert den Leser dazu auf, Problemfelder zu durchforsten. Mit „Die Mühlen des Rock und die Diskurse des Pop" startet ­ wenig smart und mit greller Plattitüde ­ Dierck Wittenbergs Text. Darin scheint er sich ­ auf den ersten Blick ­ auf eine sachliche und wissenschaftliche Weise des Schreibstils der wichtigsten deutschsprachigen Popmagazine anzunehmen. Doch dann empört er sich am Fallbeispiel einer Tocotronic-Plattenbesprechung des Magazins Intro, daß der Autor Aram Lintzel, nachdem er im Werk eine religiöse Suche nach Erlösung ausgemacht hatte, nicht zum finalen Verriß fähig war, obwohl doch „Romantik, Kitsch und religiöse Sinnsuche, so sie denn ungebrochen vorgetragen werden, zu den erklärten Feind-Topoi einer Pop-Linken gehören müßten". Bleibt hinzuzufügen, daß Wittenberg das „Zerlegen" eines Konzertsaals als „in erster Linie Randale und nicht Politik" empfindet.

Laß Radikalisierungstendenzen mit Wissenskanonisierung in einem Topf brodeln, dann kommt ein solch fader Aufguß bei raus. Zum Ende hin wird dann auch noch mal vor Martin Büsser das Gewehr bei Fuß gestellt und repetiert, „daß Pop immer eher das kapitalistische System stützt, statt es wirkungsvoll in Frage stellen zu können" und es „gerade die dem Pop zugeschriebenen subversiven Qualitäten sind, die zu dieser Stützung beitragen". Pop-Armist Wittenberg schickt sich früh an ­ er ist 25 ­ ein weiser sozialistischer Poptheoretiker zu werden: „Anhaltspunkte für die größere Anschlußfähigkeit von Spex und Intro an einen wissenschaftlichen Popdiskurs habe ich (hoffentlich) einige benannt."

Gnadengesuche werden von Johannes Springer natürlich auch nicht abgelehnt. Der Mitherausgeber und Autor des zweiten Texts sieht ja schließlich die Selbstausbeuter als relative Tölpel, die ihre kultivierte Devianz und Exzentrik nurmehr als „neoliberales unternehmerisches Selbst" konstituieren, und die über diesen „Nonkonformismus den Gipfel der Angepaßtheit" erreicht haben. Den Hinweis Dietmar Daths auf eine „aus, so relativ auch immer, prekären Bedingungen motivierte kommentatorische, publizistische Beschäftigung mit Popkultur" goutiert er immerhin als „wichtigen Hinweis", der „im Hinterkopf behalten werden" kann.

Nee, wirklich nicht, that's really not „ass-fucking-butt-sucking-cunt-licking- masturbation – so einfach wie Fahrradfahren", sondern crampy shit. Clara Drechslers Zitat kommt im Text von Felix Klopotek „Words don't come easy" vor. Nach vorangegangenem Ideologie-Kränzchen von Wittenberg und den larmoyant dargebotenen bitteren Erkenntnissen des Johannes Springer wirkt es wie eine warme Dusche, wenn das Korsett des Dialektik-Machens etwas aufgebrochen wird, wenn Klopotek über seinen Text sagen kann: „Eine gewisse Ironie ist nicht zu übersehen." Und: „Schreiben über Musik-Schreiben ist noch komischer als über Musik schreiben."

Zuvor kam noch Christoph Jackes Text, der eine eher kühle Betrachterposition einnimmt. Er schafft es, zugleich eine scharfe wie vage Bilanz zu formulieren, indem er für jene fehlende kritische (Selbst-)Reflexion innerhalb des Popjournalismus erst einmal den empirischen Nachweis fordert. Solange diese Forschungsarbeit nicht ausgewertet sei, solange hoffe er persönlich auf eine Bestätigung von Pierre Bourdieus Sichtweise, jene „Zombies", „Quertreiber, die verzweifelt darum ringen, kleine Keile in den enorm zirkulierenden Brei zu treiben", vermöchten es, sich gegen jene „Führungskräfte", die „selbst nur die ausübenden Organe der Einschaltquote sind", immer noch zu behaupten.

Das Buch enthält ­ neben Texten von Kito Nedo über die Journalisten-Ikone Helmut Salzinger und Eric Peters, der mit der Hamburger Schule hadert, weil er in dieser „kein gesellschaftskritisches Potential mehr" sehen kann ­ noch drei hochinteressante, lange Interviews mit Klaus Fiehe, Pinky Rose und Diedrich Diederichsen und ein „paar persönliche Anmerkungen entlang eines Textes von D. Diederichsen über Grace Jones" von Felix Bayer. Wobei diese „paar" Anmerkungen dann doch zu so etwas wie dem Kernstück dieses Büchleins werden. Bayer untertreibt sympathisch, macht aber dennoch geltend, daß eine Antwort auf das „Wie immer das auch kommt", daß Pop aus der Nische die Masse erreicht, als zentrale Frage weiterverfolgt werden sollte. Als zweites Ziel nennt er einen Popjournalismus, der „beide grundsätzliche Formen dieses Begriffs in sich vereint ­ einen Journalismus, der von Popkultur handelt, und einen Journalismus, der als solcher Pop sein will".

Jörg Gruneberg

* Jochen Bonz, Michael Büscher, Johannes Springer (Hg.): Popjournalismus. Ventil Verlag, Mainz 2005. 12,90 Euro

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