Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schwach im Osten

Die TLG wirft in der Greifswalder Straße Künstler raus

In der Greifswalder Str. 212/213 soll sich etwas bewegen. Und zwar im Rückwärtsgang. Der Komplex, in dem bisher Künstler unterschiedlicher Zweige ihre Büros, Ateliers und Studios hatten, soll entmietet und dann verkauft werden. Die Vermieterin, die Treuhand-Nachfolgerin TLG, hat den 155 Künstlern die Kündigung geschickt, bis Ende März sollen alle raus sein. Auch der Magnet-Club steht vor dem Aus.

Die TLG (Eigenwerbung: „Stark im Osten") setzt damit einen Höhepunkt nach ihrem jahrelangen Schlingerkurs. Seit 1990 verwaltet sie das Gebäude, das zu DDR-Zeiten den Vorzeigebetrieb der DDR-Textilindustrie, den VEB „Treffmodelle", beherbergt hatte. Nach der Wende herrschte auf den 10000 m2 ein ständiger Mieterwechsel, in dessen Verlauf sich der typische „Prenzelberger Kreativenmix" herauskristallisiert hat: bildende Künstler, Multimedia-Werkstätten, Theaterleute und Musiker. Mal förderte die TLG die Ansiedlung der Kreativen, mal schien sie die Entwicklung in den Häusern nicht zu interessieren. Noch im letzten Sommer betreute ein TLG-Mitarbeiter das Gebäude, der auf eine Zusammenarbeit mit den Künstlern setzte. Der wurde aber bald wieder abgezogen. Jetzt verlautbart die TLG, daß das Gebäude nicht mehr rentabel zu betreiben sei. Mehr als 70 Prozent stünden leer und müßten, um nutzbar zu werden, umgebaut werden. Dann allerdings würden die Mietpreise so hoch steigen, daß sich keine Mieter mehr fänden, erklärte TLG-Sprecher Olaf Willuhn der taz.

Das sehen die Künstler und der Atelierbeauftragte des Senats, Florian Schöttle, ganz anders. Sie betonen, daß für die Räume eine große Nachfrage bestehe. Die Räume seien für Künstler nahezu ideal ­ es gebe viel Platz und Licht, funktionierende Haustechnik und vor allem für den zentralen Standort moderate Mieten. Durchschnittlich sechs Euro bezahlen die Mieter für den Quadratmeter. Und auch ein Umbau würde die Mietpreise nicht zu hoch treiben. Sie sind optimistisch. Ihre Pressemappe nennen sie eine „Projektskizze" für ein „Kunst- und Atelierhaus". Ihnen schwebt vor, daß eine Trägergesellschaft sich bildet, die das Gebäude zum pulsierenden Standort der kreativen Industrie ausbaut. Und diese Industrie sei in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für Berlin nicht zu unterschätzen ­ mit elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Berlin sei sie von gleicher Bedeutung wie die traditionelle Industrie. Die Mieter warnen die TLG davor, eine Chance zu verspielen. So heißt es im Pressetext: „Hat man ein Anliegen für ein Nachwachsen und Nachspeisen der Kulturszene, so ist dieser Komplex ein gutes Beispiel für ein Entwicklungspotential im Kulturbereich und sollte nach Kräften gefördert werden."

Die TLG, die zwar noch dem Bund untersteht, aber bald privatisiert wird, scheint dieses Anliegen nicht zu haben. Der Verkauf des Ensembles wird demnächst ausgeschrieben. Sie wird einen weiteren bezahlbaren Raum für Künstler in Zentrumsnähe zu Markte tragen.

Marco Gütle

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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