Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Vom Schulhof ins Klassenzimmer

Deutsch lernt man nicht in der Pause, sondern im Förderunterricht

Es ist ein ganz normaler Mittwochnachmittag. In der Kastanienbaum-Grundschule in Mitte hat es gerade geklingelt. Kinderschreie und die Schreie der Lehrerin, die sie ins Schulhaus zurückruft, verhallen im Schulhof.

Verhallt ist auch die Sprachen-Diskussion gegen oder für eine Deutsch-„Pflicht" auf dem Schulhof mit all ihren grotesken Auswüchsen. So forderte einst der Hamburger CDU-Politiker Robert Heinemann in der Bild, daß Schüler, die sich nicht an eine Deutsch-Vereinbarung auf dem Schulhof halten, dort als Strafmaßnahme den Besen schwingen sollten. Im anderen Lager glaubten zum Beispiel türkische Kulturvereine, in der Sprachenvereinbarung eine „Zwangsgermanisierung" ausgemacht zu haben. Die Schlacht ist mittlerweile geschlagen: Die Herbert-Hoover-Schule im Wedding hat ihre Deutschvereinbarung beibehalten, andere Berliner Realschulen wollen ähnliche Vereinbarungen einführen. Der Islamrat begrüßt die Vereinbarung und betont, die deutsche Sprache müsse im Mittelpunkt des muslimischen Lebens stehen. Doch wie sieht es eigentlich da aus, wo die Sprachprobleme der Schüler am besten gelöst werden könnten, nämlich im Kindesalter? Wie versucht eine Grundschule, ihren Kindern Deutschkenntnisse zu vermitteln? Wie gut funktioniert diese Sprachförderung?

An diesem Tag steht auf meinem Stundenplan Deutsch. Es ist kein normaler Deutschunterricht, es ist DaZ. DaZ, das ist „Deutsch als Zweitsprache", ein Förderunterricht für Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache. Helga Schneider, eine von sieben DaZ-Lehrern an der Schule, hat mich eingeladen, ihre Stunde zu besuchen. Sie unterrichtet, als ich den Raum betrete, zwei Schüler der sechsten Klasse. Sie lesen einen Text über den Chemiker Louis Pasteur. Die Schüler lesen konzentriert und flüssig vor. Mit der Lehrerin klären sie, daß sie beim Vorlesen auch sinnerfassend lesen müssen, so, daß es der Zuhörer auch versteht. Sie nicken, als Frau Schneider das sagt, und nehmen ihr Lob für den guten Lesevortrag entgegen. Die Ermüdung ist ihnen anzusehen, es ist schließlich auch die siebte Stunde.

Die beiden Schüler haben DaZ-Unterricht, seit sie die Schule besuchen. Ob ein Schüler diese spezielle Förderung bekommt, wird bereits im Vorschulalter festgelegt. In der Kita werden bei jedem Kind die Sprachkenntnisse geprüft. Im Schulbürokraten-Deutsch heißt dieser Vorgang „Sprachstandserhebung". Fällt dabei auf, daß der Schüler die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht, erhält er zusammen mit anderen Kindern einen „Intensivkurs", noch bevor die Schule beginnt. Die Daten der Sprachstandserhebung im Einzugsgebiet der Grundschule legen auch fest, wie groß der Stundenpool ist, den die Schule erhält. Die Kastanienbaum-Grundschule mit ihrem 30-Prozent-Anteil von Kindern, die keine deutschen Muttersprachler sind, gehört in Berlin sogar zu den Schulen mit einem relativ kleinen Stundenpool. Schulen im Wedding oder in Kreuzberg, auf denen mehr Schüler nichtdeutscher Herkunft unterrichtet werden, haben einen dementsprechend größeren Stundenpool.

Nach dem Intensivkurs in der Vorschulphase beginnt der Förderunterricht in den unteren Klassenstufen mit dem Grundlegenden: Den Schülern wird ein für den Unterricht notwendiger Grundwortschatz beigebracht, wie andere Schüler auch lernen sie das Alphabet kennen und lernen lesen. Frau Schneider erläutert, daß die Kastanienbaum-Grundschule besonderen Wert auf die Sprachförderung bei jüngeren Schülern legt. Je früher sie die wichtigsten Dinge erlernen, desto besser könnten sie in den höheren Klassen mithalten. Im Verlauf des DaZ-Unterrichts wird dann nach und nach auf das eigentlich wichtigste Thema in der Sprachförderung hingearbeitet: die sichere Sinnerfassung. Die Erfahrung zeige, so Frau Schneider, daß die Schüler das Sprechen der deutschen Sprache im täglichen Umgang relativ schnell erlernten. Probleme gebe es dann, wenn die Schüler den Sinngehalt eines Textes oder einer Aufgabe erkennen, Begriffe mit ihrer Bedeutung verknüpfen müßten. Im allgemeinen sei der Sprachförderunterricht erfolgreich. Wie schnell die Schüler im einzelnen Fortschritte machen, hänge jedoch deutlich vom Elternhaus des Schülers ab. Ein Schüler, der zu Hause Unterstützung erfahre, lerne schneller und sicherer als einer, der zu Hause der einzige sei, der Deutsch kann. Ebenso wie in anderen Bereichen könne hier die Schule nicht die ganze Verantwortung für den Lernfortschritt tragen.

Der Besuch der DaZ-Stunde bestätigt den Eindruck, daß die „Schulhof"-Debatte völlig am Ziel vorbei geführt wurde. Selbst wenn die Schulhöfe „Deutsch-Zone" wären, wäre dies nur der erste Schritt in der Sprachförderung. Nur Deutsch sprechen zu dürfen, bedeutet schließlich noch nicht, die Sprache auch zu beherrschen. Dazu bedarf es eines qualifizierten Förderunterrichts im Kindesalter. Daß keiner der Debattenteilnehmer ernsthaft Interesse an Sprachförderung in Kita und Grundschule gezeigt hat, offenbart ­ wie so oft ­ eine weit verbreitete Ratlosigkeit im Umgang mit Migranten.

Marco Gütle

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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