Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Luxus der Leere

Nach dem Palastabriß wird der Schloßplatz zur Wiese –

mindestens bis 2012

Der Bundestag war am Morgen des 19. Januar noch nicht einmal zusammengetreten, um endgültig den Palastabriß zu beschließen, als ein Interview der Zeit mit Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee für nervöse Aufregung in Berlin sorgte. Weniger, weil seine Äußerungen einem politischen Offenbarungseid gleichkamen (an sowas hat man sich in Berlin längst gewöhnt), sondern vielmehr, weil Tiefensee erklärte, daß mit dem Beginn des Schloßneubaus nicht vor 2012 zu rechnen sei – sein Amtsvorgänger Manfred Stolpe hatte noch bis vor kurzem unverdrossen behauptet, bereits 2007 könne gebaut werden. Nun ist es also offiziell: Berlin wird etliche Jahre mit einer grünen Wiese auf dem Schloßplatz leben müssen.

Zwar hatten die Befürworter eines Abrißmoratoriums für den Palast der Republik immer wieder darauf verwiesen, daß schon allein aus verfahrenstechnischen Gründen (geplant sind ein Architektur- und ein Investorenwettbewerb) ein Baubeginn vor 2012 völlig unwahrscheinlich sei ­ dennoch reagierten Senat, Schloßbefürworter und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), potenzielle Nutzerin des geplanten Humboldt-Forums, überrascht bis verstört. Während die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unverzüglich begann, angesichts der „anderen Perspektive" nach neuen, „dem Ort angemessenen" Ideen zu fahnden und dabei auf „die Kreativität der Berliner" zu bauen, hub gleichzeitig eine Art öffentliches „Wünsch dir was"-Remake an: So hielt der Präsident der Baukammer doch einen Baustart 2009 für möglich, die Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliotheken glaubt an 2010, und Schloßfan Wilhelm von Boddien möchte „am liebsten" 2008 loslegen.

Einstweilen denkt man im Senat ganz kreativ über die obligatorischen Allzweckwaffen (landschaftsplanerischer Wettbewerb, Infobox) nach sowie darüber, die Dahlemer Museen der SPK, die eigentlich auf den Schloßplatz umziehen sollten, nun eventuell doch erstmal zu sanieren. Das Bundesbauministerium erklärte sich unterdessen kühl für „nicht zuständig für die Zwischennutzung des Areals"; das Finanzministerium erinnerte noch kühler daran, daß die Bundestagsempfehlung zum Wiederaufbau des Schlosses von 2003 an ein Moratorium gekoppelt war: Bau erst bei „wirtschaftlich und haushaltsmäßig besserer Situation des Bundes". Und das kann bekanntlich dauern.

Bei aller Verzweiflung angesichts der verlängerten Leere wurden andere, bemerkenswert deutliche Aussagen des Bundesbauministers im Zeit-Interview geflissentlich übergangen: daß die öffentliche Hand in Gestalt des Bundes und des derzeit massiv um Bundeshilfe bettelnden Landes Berlin die gesamten Finanzierungskosten von 1,2 Milliarden plus X tragen müßte („Drei Viertel wird der Bund tragen, ein Viertel das Land Berlin"), daß es immer noch keine Erkenntnisse über die anfallenden Tiefbaukosten gibt („Die Prüfung steht noch aus") ­ und daß angesichts der Finanzlage ein Schloßneubau grundsätzlich in weite Ferne rückt. Tiefensee: „Die Frage ist am Ende ohnehin eine viel prinzipiellere: Ob der Bundestag das Humboldt-Forum so überzeugend findet, daß er ihm Priorität einräumt, auch angesichts der leeren Kassen." Mit anderen Worten: Ob der Bund überhaupt jemals einen Schloßneubau finanzieren wird, ist überaus fraglich. Soviel pragmatische Deutlichkeit ist allerdings ein Novum angesichts des aktuellen Tiefststandes an politischer Kultur, der sich bislang in völliger Verweigerungsstarre (Tiefensee: „Die Würfel sind gefallen"), in Argumentationen weit unter Kindergartenniveau (Gerhard Schröder: „Weil das Schloß einfach schöner ist") oder in Angela Merkels Suppenkasperpädagogik ausdrückte („Wenn der Palast erst abgerissen ist, wird sich die Sehnsucht nach dem Wiederaufbau des Schlosses voll entfalten"). Man kann das auch mit „Friß oder stirb" übersetzen.

Aber an politische Bankrotterklärungen und höchstdemokratische Würfelentscheidungen ist Berlin, wie gesagt, gewöhnt. In diesem Zusammenhang gedenken wir beiläufig des seit 13 Jahren brachliegenden Geländes des Stadions der Weltjugend, des alten Schlachthofs und der Olympiabewerbung 1993 selig.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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