Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

"Viel Streß haben, das wär's mal"

Ein Dokumentarfilm über Schauspielerinnen mit Ansprüchen und Karrieresorgen

Es ist diesig und kalt an der Ostsee. Das sieht man am dicken Mantel und dem riesigen Schal um den Hals von Laura Tonke. Dann sagt sie einfach so: „Bonjour Tristesse", lacht gequält und hält ihre altmodische Super-8-Kamera aufs Wasser. Richtig gut scheint es ihr nicht zu gehen. Aber eigentlich ist das nichts Neues, ist sie doch im deutschen Independent-Film abonniert auf depressive, zerrissene junge Frauen. Das hier ist aber keine Filmrolle, sondern sie selbst, die private Laura.

Das wäre aber noch das geringste Problem, wenn es denn Rollen gäbe für eine 31jährige, die scheinbar im Status der „Jungschauspielerin" feststeckt und die immer noch Angebote bekommt, 24jährige darzustellen, was ihr überhaupt nicht gefällt. Sie ist Filmschauspielerin, ohne je eine Schule besucht zu haben. Und sie könnte dick im Geschäft sein, hätten es ihr nicht die kleinen, besonderen Filme angetan. Genauso ergeht es Katharina Schüttler. Die ist zwar einige Jahre jünger und hat eine Schauspielausbildung sowie mehrere Preise für ihre intensive Darbietung von „Sophiiiiie!" gewonnen. Aber genau diese ist für viele Entscheider ein Problem. Ein so großes, daß ihre Agentin die Ausschnitte aus dem Film vom Demoband nehmen mußte.

Tonke und Schüttler sind zwei von vier Mädchen am Sonntag, die Regisseur RP Kahl, selbst ausgebildeter Schauspieler, in seinem Dokumentarfilm portraitiert. Die Mädchen, dazu kommen noch Inga Birkenfeld und Nicolette Krebitz, sind natürlich keine mehr, und die Anspielung des Titels auf den Stummfilm Menschen am Sonntag ist gewollt. Denn hier spielen die Frauen niemanden außer sich selbst. Beinahe verstörend ehrlich erzählen sie in die Kamera von ihren Ängsten und Sorgen: daß sie älter werden, kaum mehr passende Rollen finden oder von verpaßten Chancen, weil sie zum Beispiel keine Nacktszenen drehen wollen wie Nicolette Krebitz. Sie sprechen von ihren Wünschen und Träumen: „Viel Streß haben, das wär's mal", sagt eine, soviel, daß man nicht mehr nachdenken muß. Darüber, daß die Karriere bald vorbei sein könnte, daß es für sie keine Alternative zum Schauspielberuf gibt und daß sie noch soviel wollen.

Aufgenommen hat Kahl diese feinfühligen Einzelportraits nicht im jeweiligen Zuhause der Schauspielerinnen, sondern er machte Ausflüge mit ihnen, zur Ostsee, in die Alpen, in einen verschneiten Wald oder in die Alte Nationalgalerie. Während die Frauen im Gespräch äußerst konzentriert, beinahe angespannt, wirken, sind sie „draußen" quasi befreit, hüpfen durch den Wald, lachen, sind albern, eben sehr mädchenhaft, was die Schwere ihrer Aussagen ein wenig mildert. Denn trotz ihrer langjährigen Berufserfahrung und einigen wichtigen Filmpreisen scheinen sie nicht richtig vom Fleck zu kommen, weil sie sich eben nicht in die übliche Filmkonfektionsware einpassen wollen oder können. Sie sind in einem Alter, zwischen 26 und 35, wo sie nicht mehr oder noch nicht in Rollenklischees passen, die sie ohnehin nicht ausfüllen wollen. Sie sind besonders, das merkt man in diesem Film noch einmal ganz deutlich. Es fehlen nur noch die entsprechen Drehbücher.

Ingrid Beerbaum

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 01 - 2006 © scheinschlag 2006