Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Stilistische Exzesse

Detlef Opitz' Büchermörder ­ ein durch und durch „spinöser" Bibliophilenroman

1813 wird Johann Georg Tinius in Leipzig angeklagt. Der bibliophile Pfarrer, Gelehrte und Besitzer einer etwa 50000 Bände umfassenden Bibliothek soll zwei Morde begangen haben – einzig mit dem Ziel, sich der Wertsachen der Opfer zu bemächtigen und mit ihnen seine ausufernden Bücherkäufe zu finanzieren. Der spektakuläre, sich über zehn Jahre hinziehende Indizienprozeß gegen den nicht geständigen Tinius endete mit einem Schuldspruch und sorgte für die lexikalische Inthronisierung des Delinquenten als „Räuber und Mörder aus Büchersammelwuth". Detlef Opitz, 1956 im Erzgebirge geboren und seit über 20 Jahren in Prenzlauer Berg wohnend, ist selbst ein Bibliomane, ein Vielleser und Bücherschreiber und hat sich – sozusagen als Sympathisant – der Geschichte des Pfarrers angenommen und draus das Naheliegende, ein Buch gemacht: Der Büchermörder.

Anders als in seinem Romanerstling von 1996 Klio, ein Wirbel um L., ein wild-barockes, Kobolz schießendes Konglomerat aus wahren, halbwahren und frei erfundenen Geschichten und Legenden über Martin Luther, betätigte sich Opitz diesmal nicht als fröhlicher Geschichtsfälscher, sondern als besessener und sammelwütiger Rechercheur von Informationen über Tinius, sein Leben, seinen Prozeß: Sieben Jahre dauerten die Nachforschungen. Herausgekommen ist ein Buch, das sich dem seltsamen Pfaffen auf vielerlei Weise nähert, ein Buch, das changiert zwischen vielstimmigem, biographischem Roman, Dokumentarcollage, historisierendem Krimi und Recherchebericht, zudem durchsetzt mit allen möglichen und unmöglichen Abschweifungen, Einschüben und, jawohl, bibliographischen Anmerkungen. Opitz präsentiert Prozeßakten und Zeitungsartikel über mordende Pfarrer, erzählt von anderen Bibliomanen, beschreibt seine detektivische Spurensuche, die ihn bis nach Amerika verschlägt, legt seinem Personal altertümelnde Tiraden in den Mund usw.

Die verschiedenen Ebenen heben sich durch eine ihnen je eigene Sprache voneinander ab: antiquiertes Kanzleideutsch, fein ondulierte, weit ausholende Geschwätzigkeit, penible Auflistung, kolleriges Stammtischgespräch. Verschrobene Wortklaubereien und -erfindungen wie sprachgewaltige Albernheiten stehen da neben grobgehauenen Schmähungen und computergeneriertem Buchstabensalat. Der Roman ist randvoll mit stilistischen Exzessen und Kapriolen, die im kühnen Salto Orthographie und Interpunktion mit sich reißen. Man könnte Opitz in seiner Sprachverliebtheit Manierismus vorwerfen, würde der Text sich nicht in jeder Zeile ­ ironieprall, maßlos übertreibend ­ über sich selbst belustigen. Am besten umschreiben läßt sich das Buch wohl mit diesem kleinen Wort, mit dem Opitz an einer Stelle seinen Protagonisten Tinius charakterisiert: durch und durch „spinös".

Ein finanzieller Erfolg wird diesem wunderlichen Werk ganz sicher nicht beschieden sein ­ zu verquer, zu eigen, ja, man möchte sagen: zu monströs kommt es daher. Es verweigert sich ja auch jeglichem praktischen Nutzen, etwa im Sinne einer dem Leser präsentierten „gesellschaftlich relevanten" oder einer dezidiert politischen Aussage, einer veritablen Küchenphilosophie. Oder aber einer netten Geschichtsrevision, führt es doch vor, wie der Autor trotz obsessiver Recherchen daran scheitert, den bibliomanen Pfarrer zu rehabilitieren, will heißen: ihn von jeglicher Schuld an den Morden freizusprechen. Opitz treibt ein großes lustvolles Spiel mit der Sprache, mit Tinius, mit sich selbst, letzten Endes natürlich auch: mit dem Leser. Und hat mit seinem Buch in der an hingerotzten Banalitäten beinahe erstickenden Gegenwartsliteratur etwas sehr Rares geschaffen: geradezu ein Objekt der Begierde für Bibliophile.

Roland Abbiate

* Detlef Opitz: Der Büchermörder. Ein Criminal. Eichborn Verlag, Berlin 2005. 24,90 Euro

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