Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin-Eisenach 1906

2. Februar bis 1. März

Dem Reichstag geht die versprochene Denkschrift über die Ursachen des Aufstandes in Deutsch-Ostafrika zu, die Graf von Götzen ausgearbeitet hat.

In der Denkschrift, die in Daressalam auf den 26. Dezember datiert ist, wird dargelegt, daß der Aufstand eine interne deutsch-ostafrikanische Bewegung von rein heidnischer Natur gewesen sei. Die militärische Macht sei unzulänglich gewesen und der Aufstand völlig unerwartet ausgebrochen. Auslöser war ein Akida, das ist ein schwarzer Unterbeamter, der in den Matumbibergen einige Leute aus Eigennutz zu ungesetzlicher und übermäßiger Arbeitsleistung zwingen wollte. Er wurde von ihnen totgeschlagen. Zusammenrottungen mit dem üblichen Prunkgelage und der Einäscherung aller Inderläden seien das Signal zu weiterer Erhebung gewesen.

Eine einheitliche militärische Leitung des Aufstandes sei nicht erkennbar geworden, vielmehr sei die langunterdrückte Lust zum Rauben und Beutemachen wieder zum Durchbruch gekommen. Es scheine aber doch, als ob gewisse verwandtschaftliche Stammesbeziehungen von erheblichem Einfluß auf die Beteiligung am Aufstand gewesen seien. Mit Erfolg hätten einzelne Führer der Bewegung falsche Nachrichten verbreitet, einen unmittelbaren Zwang, verbunden mit Zauberei, ausgeübt. Der Zauberglaube sei bei weitem das wirksamste Mittel gewesen.

Das im tropischen Afrika allgemein übliche, schwer regulierbare Kreditwesen im Handelsverkehr habe zweifelsohne eine große Menge unzufriedener und verzweifelter Schuldner geschaffen. Bestehe doch das ganze Gummigeschäft im Süden darin, daß in einer ganzen Skala von Zwischenhändlern immer ein Schuldner den andern zur Lieferung von Gummi presse.

Die Bewaffnung der Aufständischen bestehe aus alten Vorderladergewehren, Bogen mit teilweise vergifteten Pfeilen und Speeren. An Hinterladern befinden sich schwerlich mehr als drei Dutzend in den Händen der Rebellen. Die Zahl der Vorderlader sei schwer zu schätzen. Eine gewisse Unzufriedenheit des Volkes mit den wirtschaftlichen Verhältnissen sei hinzugekommen, welche durch die neue Herrschaft des weißen Mannes herbeigeführt worden sei. So der Eingriff in die bisherigen Verhältnisse durch die Beschränkung der Sklaverei und ihre allmähliche Aufhebung; doch habe gerade das mohammedanische Element, das hiervon am meisten betroffen sei, sich am Aufstand so gut wie gar nicht beteiligt. Ohne Zwang arbeite der ostafrikanische Neger überhaupt nicht.

Der Zwangslohnarbeit auf europäischen Betrieben auf dem Lande dürfe man wenig Bedeutung für den Aufstand beimessen. Auch die Besteuerung der Pombe, dem aus den Samen von Eleusine coracana (Dagussa) bereiteten Bier, hat den Aufstand nicht verursacht. Der Anbau von Landesprodukten unter behördlichem Druck sei notwendig. Leider versagten vielfach die farbigen Unterbeamten, weil sie nicht genügend kontrolliert werden könnten.

Es empfehle sich als Ersatz für den zwangsweisen Landbau eine Erhöhung der Hüttensteuer. Der Aufstand sei das Ergebnis einer Summe von Einzelerscheinungen, unter denen erstens die im Verhältnis zur Größe des Landes und seiner Bevölkerungsziffer geringe militärische Macht, zweitens die unvermeidbare Unzufriedenheit des Naturmenschen mit der vordringenden Zivilisation und ihrer Forderung zur Arbeit, endlich die Macht altheidnischer Zauberbräuche die hervorstechendsten sind.

Deutsch-Ostafrika steht bei seinen Bestrebungen, die Produktion im Lande zu heben und den Neger zur Arbeit zu erziehen, besonders schwierigen Verhältnissen gegenüber. Die zwangsweise Erziehung des Negers zur Arbeit könne nur dann empfohlen werden, wenn die Umgestaltung der Verkehrsverhältnisse durch Eisenbahnen in Zukunft verstärkt sein sollte. Das sei nämlich das einzige Mittel zur Weiterentwicklung des Landes und zur natürlichen Dekkung seiner Arbeitskräfte.

Die Bevölkerung des Landes besteht in der Hauptsache aus den sogenannten älteren Bantuvölkern wie den Wasagara, Wasambara, Wanika, Wagogo, Wahehe, Mafiti, den Wangoni in Uniamwesi sowie den Dschagga am Kilimandscharo und jüngeren Einwanderern wie den Suluvölkern, den Wayao, den Massai und den Watussi.

Falko Hennig

* Radio Hochsee am 22. Februar, 20.30 Uhr im Kaffee Burger, Torstr. 60, Mitte mit dem Gastexperten Bodo Mrozek über bedrohte Wörter, weiteres unter www.Falko-Hennig.de

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