Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
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Sind Migrantinnenprojekte Luxus?

Das interkulturelle Frauenzentrum S.U.S.I. ist trotz enormen Engagements bedroht

1989: Aus den regelmäßigen Treffen einer Gruppe von Frauen in Berlin-Mitte entsteht am 9. November die Projektgruppe S.U.S.I., kurz für „solidarisch, unabhängig, sozial, international". Sie wollten, wie zu Wendezeiten nicht unüblich, ein Haus. Unabhängig von Staat und Kirche sollte es sein, um internationale Begegnungen, Seminare und Workshops zu ermöglichen. Ein Wunsch, der wahr gemacht wurde. Die Frauen zogen erst ins Haus der Demokratie, das sich damals noch in der Friedrichstraße befand. Als es dort Miete kosten sollte, wurde ein Haus in der Mulackstraße besetzt. Nächste Station war Monbijoupark. Seit 1995 hat der Frauenverein seine Räumlichkeiten in der Linienstraße 138 und 119a.

In der 119a sitzt Janina Argilagos, Lateinamerikanistin und Projektkoordinatorin. „S.U.S.I. dachte zuerst sehr international und weniger frauenspezifisch. Als aber nach der Wende der Rassismus so stark wurde, merkten wir, daß ausländische Frauen doppelte Opfer sind. Sie waren die ersten, die arbeitslos wurden bzw. deren Arbeitserlaubnis nicht verlängert wurde, mußten aber andererseits oft die ganze Familie versorgen", erklärt sie. Die Ausrichtung orientierte sich also an der Realität: S.U.S.I. wurde zum interkulturellen Frauenzentrum, das eine kurze Zeit lang, bis zu dessen Ende, Gelder vom DDR-Frauenministerium bekam. Dann übernahm der Berliner Senat. 1992 wurden ABM- und SAM-Stellen geschaffen. Mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bzw. ihren Nachfolgern, den sogenannten 1-Euro-Jobs, und viel ehrenamtlicher Arbeit, läuft das S.U.S.I. noch heute. Es gibt nur vier festangestellte Frauen. Eine davon ist Janina, die 1994 als ABM-Kraft anfing. Mit insgesamt 37 Mitarbeiterinnen ­ fast alle Migrantinnen ­ stellt das interkulturelle Frauenzentrum, trotz der üblichen Kürzungen, allerdings ein beachtliches Programm auf: Seniorinnen treffen sich zum Kochen und Deutschlernen, iranische und polnische Filme werden gezeigt, Musikerinnen treten auf. Täglich begegnen sich Frauen in Selbsthilfegruppen, in Sprach-, Musik- oder Sportkursen. Psychologische, Sozial- und Rechtsberatung bietet S.U.S.I. kostenlos in zehn Sprachen an. Dazu gehört auch das Begleiten der Frauen auf Ämter, zu Ärzten oder Rechtsanwältinnen. Integrationsarbeit? ­ „Wir haben das Wort Integration eigentlich nie benutzt. Für uns war und bleibt das wichtigste, daß S.U.S.I. ein Ort des gemeinsamen Lernens für Frauen ist", meint Janina Argilagos.

Als erstes Migrantinnenprojekt begann S.U.S.I. 1995, ausländische Frauen im Knast zu besuchen und zu betreuen. „Eines Tages tauchte eine Kolumbianerin bei uns auf. Durch sie erfuhren wir, daß im Gefängnis viele ausländische Frauen sitzen. Die meisten verstehen die Sprache nicht und werden schon deswegen schlechter behandelt. Oft haben sie kein gültiges Visum. Um Freigang zu bekommen, brauchen sie zudem eine Meldeadresse von jemandem, den sie besuchen können, oder Begleitung", berichtet Le Thanh Thuy, die den Bereich Soziales und Gesundheit verwaltet und auch Gefangene betreut.

Seitdem helfen die Frauen von S.U.S.I. ausländischen Inhaftierten bei persönlichen und rechtlichen Problemen, unterstützen sie, wenn sie wieder draußen sind, oder sind einfach Anlaufstelle für die, die sonst keine haben. „Wir helfen mit Verantwortung und Herz. Das ist nach dem Geschmack der Ausländer", begründet Le Thanh Tuy mit einem (selbst-)ironischen Lächeln das große Aktionsspektrum von S.U.S.I. Geld gibt es in diesem Jahr keines mehr für das Knastprojekt. Auch die offenen und kostenlosen Beratungsbereiche seien gefährdet, berichten die Frauen. Förderanträge sind zwar am Laufen, aber im Moment ist der Verein auf Spenden angewiesen.

Adolfo Naya/Konstanze Schmitt

* Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I., Linienstr. 138, fon: 28266270 oder 28879511

* Ein ähnliches Programm bietet das Lateinamerikanische Frauenzentrum Xochicuicatl an: Xochicuicatl, Winsstr. 58, fon: 2786329

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