Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Jetzt geht wieder alles von vorne los

Die Brunnenstraße 183 hat einen neuen Besitzer, die Bewohner bleiben

Die Brunnenstraße 183 sollte zwangsversteigert werden. Um zu verhindern, daß das Haus an einen kommerziellen Investor geht, haben sich am Morgen des 23. Januar Bewohner des Hausprojekts und zahlreiche Unterstützer im Amtsgericht Mitte in der Littenstraße eingefunden. Trotz der eisigen Temperaturen ist die Stimmung aufgeheizt. „Brunnenstraße bleibt!" steht auf einem Plakat. Tee und Bananen werden an alle verteilt, die gekommen sind, um „buh" zu rufen oder wie Cary Grant in Hitchcocks Der unsichtbare Dritte die Teilnehmer der Auktion konsequent zu unterbieten oder schlicht und einfach durch Anwesenheit Stärke zu zeigen.

Aber es kommt erst gar nicht dazu. „Der heutige Versteigerungstermin Brunnenstr. ist aufgehoben und entfällt" steht auf einem Zettel am Fuß der Treppe, da, wo der Wachschutz die Besucher auf verbotene Jackentascheninhalte durchsucht. Die Bewohnerinnen und Bewohner des politischen Hausprojekts sind einigermaßen verwirrt: Sollte die Eurohypo-Bank, die das Haus nach der Insolvenz der früheren Besitzer team 2 GmbH verwaltet, selbst zugeschlagen haben? Hat vielleicht Günther Stach, einer der Gesellschafter der team 2 GmbH, das Haus privat gekauft? ­ Gut möglich, schließlich ist ein Wohnhaus in zentraler Lage ein prima Spekulations- bzw. Abschreibungsprojekt.

Oder ist vielleicht das vom Gericht beauftragte Verkehrswertgutachten ungültig? Das sei nicht unwahrscheinlich, meint Jens Herrmann, der seit 1999 in der Brunnenstraße 183 wohnt, und liest vor: „Das Gebäude wird offensichtlich von Hausbesetzern genutzt. Es ist anzunehmen, daß keine oder nur wenige Mietverhältnisse bestehen." Zu diesem Schluß kam Gutachter Stenkewitz durch einen Blick auf den Hof ­ das Haus zu betreten oder gar mit seinen Bewohnern zu sprechen, die seit 2001 immer wieder in Verhandlungen mit dem Bezirksamt und den Hausbesitzern ste-hen, kam ihm nicht in den Sinn. In dem Schriftstück heißt es weiter, daß „von den Parteien keine Mietaufstellung gegeben worden" sei. Das sei die argumentative Vorbereitung zur Gewaltanwendung und zur Räumung, ärgern sich einige, „aber wir sind Mieter, wir haben Rechte." Einen Tag später heißt es, das Haus sei verkauft. Der neue Eigentümer bleibt vorsichtshalber erstmal incognito.

Von den wechselnden Vermietern der Brunnenstraße 183 fühlen sich die rund 25 Bewohner schon seit Bestehen des Hausprojekts im Jahre 1994 einigerma-ßen verarscht. „Wir haben immer Miete bezahlt. Wenn es aufgrund unklarer Eigentumsverhältnisse nicht anders ging, auf ein dafür eingerichtetes Treuhänder-Konto. Denn die Vermieter kümmern sich einen feuchten Kehricht um uns." Das ist das Fazit eines Mieters, der seit 1997 im Seitenflügel der Nr. 183 wohnt. Nachdem dem Haus mehrmals Wasser, Gas oder die Müllabfuhr verweigert wurden, kam heraus, daß die team 2 GmbH die Mieten zwar einkassierte, aber nichts davon weitergab. Um eine Einigung zu erzielen, wurde 2002 ein Runder Tisch mit dem Bezirksamt, den Besitzern und der Senatsverwaltung eingerichtet, doch dann verschwand team 2 einfach von der Bildfläche. „Das ist eine typische Spekulations-GmbH", sagt Moritz Heusinger, Anwalt der Bewohner der Brunnenstraße, „sie haben das Grundstück unbesehen gekauft, um Eigentumswohnungen daraus zu machen."

So kann es nicht verwundern, daß das Hausprojekt seit seinem Beginn „de facto in Selbstverwaltung" geführt wird. Um diese zukünftig auch „de jure" zu ermöglichen, haben die Bewohner und der solar e.V. (sozial leben und arbeiten) in den letzten Wochen zu Spenden aufgerufen. Die spontane Direktkreditkampagne lief so erfolgreich, daß man zum Gerichtstermin bereits die nötigen zehn Prozent Anzahlung zusammenhatte. Mit einem Selbstkauf hätten die Bewohner und die zahlreichen Projekte in der Brunnenstraße 183 weiter leben und arbeiten können. Diese typische Berliner Mischung steht nun, nach dem Verkauf des Hauses, zur Disposition. Für die selbstorganisierten Projekte könnte das bedeuten, daß sie eventuell von einem Tag auf den anderen verschwinden müssen, denn sie werden bislang nur geduldet. Das Vereinscafé im Hinterhaus ist Treffpunkt verschiedener Projektgruppen, in den Kellern proben Bands.

Der Umsonstladen im Vorderhaus existiert seit vier Jahren und ist bestimmt das prominenteste Projekt der Brunnenstraße: In der „geldfreien Zone" kann man alles finden ­ wenn man es braucht: vom Geschirr bis zum Englisch-Wörterbuch, von der Damenhandtasche bis zum Wintermantel. Man nimmt etwas mit oder bringt etwas vorbei, aber das hat nichts miteinander zu tun, ein Zwang zum Tausch besteht nicht. Zehn bis fünfzehn Leute sind aktiv beteiligt am Laden, der Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag geöffnet hat.

Der neue Besitzer kaufte das Haus wenige Tage vor dem Versteigerungstermin für 280000 Euro. „Wir müssen wieder an den Runden Tisch und über unser Haus verhandeln. Klar ist, daß wir bleiben", meint Jens Herrmann. Aber das Hausprojekt, in dem Rentner, Studenten und Künstler zusammenwohnen, ist eines der letzten seiner Art im durchsanierten Mitte, und „das wird einen ganz schönen Kampf geben, da die Mieter ja nicht so reich sind", prognostiziert Heusinger, der Anwalt. Wie die Hausbewohner ist auch die Webseite www.brunnen183.de gut organisiert und informiert regelmäßig über das Geschehen. Im Umsonstladen (www.umsonstladen.info) kann man sich in die Unterstützerliste eintragen.

Konstanze Schmitt

Foto: Knut Hildebrandt

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