Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schlachteplatteessen mit Politik

Die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Herbst hat die CDU anscheinend schon verloren gegeben. Anders läßt sich kaum erklären, daß sie nun den Hannoveraner Friedbert Pflüger auf ihren Schild gehoben hat. Sicher, im Vergleich mit dem Landesvorsitzenden – wie hieß der noch gleich? – und den Heinis aus den Bezirksverbänden wirkt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung fast wie ein Grandseigneur.

Umgekehrt kann man sich aber auch fragen, was einen Außenpolitiker, der sich jahrelang als „Atlantiker" wichtig zu machen suchte, dazu treibt, sich die Hände im hauptstädtischen Milljöh schmutzig zu machen. Der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker, der Pflüger 1981 als Büroleiter nach Westberlin holte, soll von dessen Politikstudium in Harvard beeindruckt gewesen sein. Aber warum glaubt er, damit gegen einen Wowi anstinken zu können?

Politik in Berlin funktioniert anders bzw. eben: überhaupt nicht. Die Bevölkerung ist derart frustriert von den raffgierigen Provinzidioten, die seit Jahrzehnten eine Posse und einen Skandal nach dem anderen inszenieren, daß man sich nach dem Skandal aller Skandale, dem Bankenskandal, für Verdrängung entschied. So funktioniert Demokratie: Man schimpft am Stammtisch darüber, daß alle Politiker korrupte Arschlöcher sind ­ und wählt sie dann trotzdem. Da kam der unpolitische Partymeister gerade recht, über dessen Privatleben die Öffentlichkeit besser informiert ist als über seine politischen Ansichten, der so recht ja eigentlich gar kein Politiker ist, diesen Anteil seiner Persönlichkeit jedenfalls herunterzuspielen bemüht ist. Solange er mehr auf den Klatschseiten präsent ist als im politischen Teil, scheint seine Zukunft im Roten Rathaus gesichert ­ als Teil jener Gossenprominenz der Désirée Nicks, Boris Beckers und Dieter Bohlens, von denen ja auch niemand zu sagen wüßte, warum sie so populär sind.

Da wird sich Friedbert Pflüger anstrengen müssen, mehr in Clubs gehen, weniger arbeiten, mehr trinken. Er kann ja gleich auf der Berlinale damit anfangen. Vielleicht sollte er Franka Potente oder die Witwe von Günther Pfitzmann in sein Kompetenzteam holen – oder Heino, der bei der kleinbürgerlichen Berlin-CDU Trumpf sein müßte. Wenn der dazu zu bewegen wäre, in Berlin eine Filiale seines berühmten „Heino Rathaus Cafés" in Bad Münstereifel zu eröffnen, wäre das schon die halbe Miete und eine beeindruckende Untermauerung des Machtanspruchs am Boulevard.

Vielleicht wird ja doch noch etwas aus Pflüger. Vielleicht geht er ja mal mit Oliver Juhnke saufen oder freundet sich mit Rolf Eden oder Tatjana Gsell an. Schon als Staatssekretär im Verteidigungsministerium zählte schließlich nicht nur Arschkriecherei auf internationalem Parkett zu seinen Aufgaben. Vor kurzem mußte er etwa an einem „Schlachteplatteessen mit Politik" im Ratskeller zu Bückeburg teilnehmen, um die dortige Heeresfliegerwaffenschule als „Leuchtturm der Bundeswehr" zu feiern. Ratskeller gibt es in Berlin genug, und mit sinnlosem Geschwalle über Standortchancen bringen auch Regierende Bürgermeister ihre Arbeitstage hinter sich. Immerhin ging Pflüger schon wenige Tage nach seiner Nominierung damit hausieren, die Kudamm-Bühnen gerettet zu haben – sogar bis über den Wahltag hinaus, bis Mitte 2007. Willkommen am Boulevard!

Hans W. Rust

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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