Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wer im Abseits steht, kann keine Tore schießen

Frauenfußball als alternative Fußballkultur und Frauensport Nummer 1

Während sich die Männer-Nationalelf warm macht, um 90 Minuten später einen 0:0-Achtungserfolg im Freundschaftsspiel gegen Frankreich zu erzielen, ist bei den Frauen das Fußballjahr 2005 bereits in trockenen Tüchern. Drei Siege in drei Partien, somit Tabellenführung in der Gruppe 4 bei der Qualifikation zur WM 2007 in China und nicht zu vergessen: Titelgewinn bei der EM 2005 in England, das ist die Bilanz. 15637 Zuschauer bejubelten die Spielerinnen im Stadion in Ulm und das 4:0 gegen die Schweiz wurde sogar in voller Länge live im ZDF übertragen. Soweit alles prima im deutschen Frauenfußballwunderland!

Der Frauenfußball ­ bis in die siebziger Jahre in West-Deutschland gesellschaftlich noch als unlautere Zirkusveranstaltung empfunden, für den noch 1989 der DFB zur siegreichen EM ein Kaffeeservice als angemessene Prämie für die Spielerinnen verstand ­ ist in der Mitte angekommen. Und das, obwohl, wie kürzlich eine der Weltmeisterinnen bemerkte, Frauenfußball noch immer ein professionelles Hobby bei amateurhafter Bezahlung ist.

Trotzdem steckt Erfolg an und motiviert. Auch an der Basis ist das Jahr 2005 ein Rekordjahr. Noch nie gab es mehr aktive Fußballerinnen bei den Mädchen bis 16 Jahren in den Vereinen, 20 Prozent mehr Teams als letztes Jahr waren in dieser Alterklasse im offiziellen Spielbetrieb des DFB angemeldet. Der Frauenfußball-Boom macht die Runde, und so manches Alphatierchen in den Verbänden und Vereinen entdeckt mal wieder ungeahnte Potentiale.

Der geschäftsführende DFB-Präsident Theo Zwanziger jedenfalls hat den Frauenfußball auf seiner Agenda. „Die Zukunft des Fußballs ist weiblich" lautete auch prompt das Motto des 1. DFB-Frauen- und Mädchenfußball-Kongresses im April dieses Jahres. Allein der Slogan ist bemerkenswert. Was sich visionär anhört, entpuppt sich allerdings beim genaueren Hinsehen als bekanntes Einmaleins der Sportförderung. Bespielt wird die Klaviatur der Großorganisation und des Leistungssports. Sportinternate an fünf oder sechs Standorten im Lande könnten eingerichtet, Trainerinnen höher qualifiziert und die wirtschaftlichen Potentiale besser ausgeschöpft werden. Der Anteil der Nachwuchsspielerinnen soll binnen drei Jahren verdoppelt werden, die Präsenz in den Medien mit Hilfe der Nationalspielerinnen gesteigert werden. Schade nur, daß das offizielle Herz des Fußballs ­ die Bundesliga ­ bei den Frauen recht einseitig schlägt. Seit Jahren machen zwei Vereine (1.FFC Frankfurt und Turbine Potsdam) die Meisterschaft unter sich aus. Das ist ein bißchen langweilig und irgendwie schlecht für die Medienpräsenz sowie bei der Suche nach Geld und Sponsoren. Über den Daumen gepeilt kommen 1000 Zuschauer im Schnitt zu den Spitzenspielen der Bundesliga, wenn's hoch kommt, 500 zu den Begegnungen des Tabellen-Mittelfelds und um die 200 Zuschauer zu den Schlußlichtern. Mit diesen Zahlen ist es argumentativ schwierig, bei Sendeanstalten wegen Sendezeiten und bei Sponsoren wegen Verträgen auf der Matte zu stehen. Am Wochenende wird eben viel Sport getrieben, auch in anderen Disziplinen.

Mehr Kräftemessen, mehr Leistung, mehr Erfolg, mehr Geld. Schaut man sich an der Basis um, stößt man auf ganz andere Prioritäten des „Frauensports Nummer 1", wie aktuell aufgrund der Zahlen gern getitelt wird. Abseits von Vereinsmeierei und Professionalisierung stehen nämlich die sozialen Aspekte im Vordergrund. Auf der Veranstaltung des Flutlicht e. V. „Wanderinnen zwischen Welten ­ Fußballerinnen zwischen Ethnizität und Vorurteil" sprach die Moderatorin Dr. Esther Lehnert kürzlich gar von „Frauenfußball als alternativer Fußballkultur". Lehnert, die vorwiegend zu Ethnizität und Rassismus im (Männer)-Fußball arbeitet, stellt mit einem gewissen Maß an Genugtuung fest, daß es im Frauenfußball in Deutschland in den Stadien nachweislich keinen Rassismus in Form von Nazi-Parolen und gewalttätigen Auseinandersetzungen oder Übergriffen gibt. So berichtet die 22jährige Nationalspielerin Navina Omilade von Turbine Potsdam, daß sie Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe nie erlebt habe. Im Gegenteil herrsche im Frauenfußball ein „super familiäres" Klima. Fußball als Spiel aus Spaß an der Freude scheint im Frauenfußball noch Realität zu sein.

Bei Türkiyemspor in Kreuzberg wissen die Trainerin Turkan Aslan und Trainer Murat Dogan aus Erfahrung, daß Fußball für Mädchen aus türkischen Familien längst ein Mittel zur Integration geworden ist. Sie knüpfen Kontakte außerhalb der Familie, schließen Freundschaften und verschaffen sich letztendlich nicht nur bei den Jungs Respekt und Anerkennung. Die kleinen Vereine, die in Bezirks- und Regionalligen Frauenfußball als Freizeitsport anbieten, kennen das sozialpolitische Gewicht ihrer Forderungen und Perspektiven ziemlich genau. Es geht, neben aller Spitzensportförderung, darum, die Basis zu hegen und zu pflegen. Bei aller Liebe zum Aushängeschild Bundesliga müssen der DFB und seine Landesverbände für mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung auf der lokalen Ebene sorgen, mehr Trainerinnen ausbilden und Frauen an die Schaltstellen in den Vereinen befördern. Mädchenfußball muß finanziell auf der gleichen Ebene wie Jungenfußball gefördert, Plätze zum Spielen im proportional gleichen Umfang zur Verfügung gestellt werden. Und in den Schulen muß endlich aufgehört werden, Fußball nur für Jungs anzubieten, während die Mädchen turnend am Schwebebalken üben.

Warum ist es für Mädchenmannschaften schwerer als für ein Team von Jungen, die Fahrt zu Spielen oder neue Trikots zu finanzieren? Das hohe Maß an Initiative, das die Akteurinnen aufbringen müssen, um Forderungen nach mehr Gleichberechtigung durchzusetzen, stärkt ­ kleiner Trost ­ zumindest das Selbstbewußtsein. Sichtbar wird das im Kreuzberger Kiez, wo die gesponserten Trainingsanzugjacken mit dem Aufdruck „Mädchenfußball-Mannschaft Türkiyemspor" zum Kultobjekt geworden sind und nicht nur auf dem Fußballfeld, sondern auch im Alltag getragen werden.

Es sind die kleinen Zeichen und Schritte, die dazu beitragen, eine der letzten echten Männerdomänen aufzubrechen. „Die Hälfte des Balls für die Frauen" zu fordern, ist programmatisch wie auch in anderen Bereichen immer richtig ­ realistisch ist aber, vorerst stark am Ball zu bleiben, um sich den Raum zu sichern, den Frauenfußball an der Basis zur weiteren Entwicklung und Verbreitung braucht. Absurd sind Veranstaltungen wie „Nationalelf Frauen spielt gegen die Männer-B-Jugend eines Bundesliga-Spitzenclubs". Unsäglich die Bereitschaft, sich vorführen zu lassen und mit einem „0:3" wie begossene Pudel vom Platz zu gehen.

Frauen spielen viel Fußball, doch das Stigma, daß sie es eigentlich nicht können, ist noch lange nicht überwunden. Wirklich ernstgenommen wird der Frauenfußball nicht ­ da sind sich die Protagonistinnen einig. Und es gilt nun mal: Wer im Abseits steht, kann keine Tore schießen. Deshalb sollte man nicht in die Falle laufen und in eine Aufholjagd verfallen, sondern sich lieber mit weniger Professionalisierung und Kommerz den Spaß am Spiel bewahren.

Text und Fotos: Violetta Donhöffner

Links zum Thema Frauenfußball und andere alternative Fußballkultur:

ffnews.de

frauenfussball-guide.de

flutlicht.org

farenet.org

stiftung-jugendfussball.de

aktive-fans.de

festival06.org

streetfootballworld.de

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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