Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Allzeit bereit zum Billiglohn

In der Medienbranche wird Azubis

besonders übel mitgespielt

„Ich muß immer erreichbar sein. Wenn ich mein Handy ausmache, werde ich auf Arbeit angezählt", so klagt Jonas, 25 Jahre jung und Auszubildender in einer Berliner Medienfirma, sein Leid. „Is' bei uns nich' so – aber ich darf für meinen Chef private Videos schneiden, wo er mit seiner Frau halbnackt auf dem Sofa sitzt", entgegnet Heiner, 22, auch Azubi. Ich stehe auf dem Schulhof einer Berufsschule im Wedding, wo ich mich mit einer kleinen Gruppe von Lehrlingen zu einem Interview verabredet habe. Ich will wissen, wie es um die Chancen junger Leute bestellt ist, die einen Job beim Fernsehen suchen.

Anna, 23, kommt aus Westdeutschland und ist erst seit einem Jahr hier. Sie plagen ganz andere Sorgen als ihre Klassenkameraden. Wie die anderen macht auch sie eine Ausbildung zur Film- und Videoeditorin und kriegt im Monat etwa 450 Euro raus. Das ist im Vergleich zu ihren Berufsschulkameraden zwar viel, aber für Anna reicht es vorne und hinten nicht: Miete für die gemeinsame Wohnung mit dem Freund, Kosten für Essen, Telefon und Internet ­ einmalige Ausgaben für Kleidung und Sonstiges nicht eingerechnet. Da kommen schnell ein paar hundert Euro im Monat zusammen. Anna geht deswegen nebenbei jobben, Werbezettel verteilen. Das kann sie auch nach Büroschluß noch machen, und eine besondere Qualifikation ist dazu nicht nötig. Aber Zeit für sich hat Anna jetzt kaum noch. Heiner hat zwar Zeit, aber über Annas Probleme kann wiederum er nur traurig lachen. Seit Juli dieses Jahres zahlt ihm sein Chef die Ausbildungsvergütung nicht mehr wie üblich zum Monatsende: „Ich habe im September mein Juligehalt bekommen, ich versuche gerade, den Betrieb zu wechseln."

Am Anfang der Lehre steht für viele der zukünftigen Azubis im Medienbereich erst mal ein Praktikum, das zwischen drei Monaten und einem Jahr dauert. Wie im Fall von Jonas. Sein Praktikum war bezahlt, das ist schon ein Vorteil, aber er hatte bis zuletzt keine Perspektive, denn: „Erst hieß es drei Monate. Dann, ein paar Tage vor Ablauf, haben sie es mir auf ein halbes Jahr verlängert und dann kurz vor Ende wieder." Nach neun Monaten schließlich kommt das wohlwollende Angebot: Jonas dürfe eine Ausbildung beginnen, er habe sich bewährt. Das war für den jungen Mann gerade noch der richtige Zeitpunkt, er hatte nämlich schon erhebliche Bedenken, ob er nicht nur als billige Vollzeitkraft ausgebeutet würde: „Während des Praktikums habe ich zum Teil sieben Tage die Woche gearbeitet, mal Frühschicht, mal bis nachts um drei, und den andern das Geschirr hinterhergeräumt oder den Kühlschrank saubergemacht. Da bin ich schon auch mal ausgerastet und hab mich mit dem Vorarbeiter in die Haare gekriegt, weil ich nicht mehr so wollte." Der Vorarbeiter ist in dieser Firma der einzige Festangestellte und gleichzeitig Ansprechpartner für Jonas in Fragen um seine Ausbildung. Der Vorarbeiter arbeitet aber nur zwei Wochen im Monat...

In den Medienfirmen in und um Berlin wird oft mit vielen Praktikanten und wenigen Auszubildenden gearbeitet. Das stellt sich im Verlauf meines Interviews heraus. Im Bedarfsfall wird auf ehemalige Mitarbeiter zurückgegriffen. Jonas erzählt von seinen beiden Vorgängern, die haben im Sommer die Ausbildung abgeschlossen und sind dann „übernommen" worden. Übernommen? Das klingt gut, ich hake nach: „Na, ich weiß nur, daß die jetzt halbtags arbeiten, jeder kommt zwei Wochen im Monat plus auf Abruf." Aha. Ich kenne mich in steuerlichen Dingen leider nicht gut aus, aber auch ich begreife schnell, wo hier der Haken ist. „Auf Abruf" bedeutet weiterhin ganztägig bereit und dennoch bezahlbar für die Firma zu sein. Das ist gelinde gesagt suboptimal, da bleibt keine Zeit für einen sinnvollen zweiten Job, denn welcher Chef stellt schon gern jemanden ein, der mitten in der Arbeit mal auf Abruf weg muß?

Ob sich Lehrlinge gegen den Druck des Ausbilders zur Wehr setzen und ausbildungsfremde Tätigkeiten ablehnen, liegt letztlich bei jedem einzelnen selbst. Denn die Hemmschwelle der Azubis, sich an die Industrie- und Handelskammer zu wenden, ist hoch. Diese prüft nämlich, ob ein Betrieb ausbilden darf, und ist auch die Anlaufstelle bei Problemen während der Ausbildung. Die Vergütung der Ausbildung wiederum ist zum Teil abhängig vom Verhandlungsgeschick des künftigen Lehrlings, denn diese wird bereits im Ausbildungsvertrag für die gesamte Lehre im voraus festgelegt. Zum Glück, denn sonst müßten manche vielleicht zur Halbzeit zu ihren Ungunsten neu verhandeln. Geiz vom Feinsten.

Edward Kronberg

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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