Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Die denken sich, mit uns können sie es ja machen"

Die prekäre Existenz von Ausländern in Berlin ­ ein Fallbeispiel

„So richtig blöd wurde es, als mir meine Chefin völlig betrunken erzählt hat, daß sie Schwarze und Türken nicht leiden kann", berichtet Robson Barbosa von einem Erlebnis, das er als Mini-Jobber in Berlin hatte.

Robson ist 33 Jahre alt und kommt aus Brasilien, wo er in den neunziger Jahren Jura, Philosophie und Kunstgeschichte studiert hat. Im April 2001 kam er nach Berlin, um hier seine Doktorarbeit in Kunstgeschichte zu schreiben. Nach dreieinhalb Jahren lief das ihm vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gewährte Stipendium aufgrund von Etatkürzungen aus ­ ein halbes Jahr eher als vertraglich festgelegt. Robson hatte seine Doktorarbeit noch nicht beendet; um für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, mußte er sich eine Arbeit suchen.

„Eine Freundin von mir, auch aus Brasilien und Archäologiestudentin in Berlin, hat mehrere Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Das wollte ich nicht machen, nach dem, was sie mir über die teilweise extremen Arbeitsbedingungen für Ausländer da erzählt hat: kein offizielles Arbeitsverhältnis, also Schwarzarbeit, jeden Tag neun Stunden am Tresen, auch am Wochenende, nur vier Tage frei im Monat, nicht ausgezahlter Lohn..."

Natürlich hätte er gern eine Arbeit gefunden, die auch nur entfernt etwas mit seiner Ausbildung zu tun hat, beispielsweise in einem Museum: „Aber so was zu kriegen, das ist ja selbst für Deutsche schwierig." Seine Bemühungen in dieser Richtung waren allesamt erfolglos, weshalb er sich u.a. als Nachtportier im Hotel, als Ticketverkäufer bei verschiedenen Stadtrundfahrtbüros und als Interviewer in einem Callcenter verdingte. Phasenweise war er bei drei Arbeitgebern gleichzeitig beschäftigt.

Die Arbeit als Nachtportier fand Robson „ganz okay", bei den späteren Jobs traten allerdings fast immer irgendwelche Probleme auf. Kurz nachdem er im Callcenter seine Tätigkeit als Interviewer aufgenommen hatte, wurde ihm erklärt, daß eine Auszahlung seines Lohns wahrscheinlich erst in drei Monaten erfolgen könne. Zwei Wochen später eröffnete man ihm, man brauche seine Steuernummer für die Abrechnung. Die hatte er nicht, konnte er nicht haben, da er mit seinem besonderen Status als ausländischer Doktorand gar keiner selbständigen Tätigkeit nachgehen darf: „Das wußte ich bis dahin überhaupt nicht." Robson fragte, ob er die Rechnung unter dem Namen eines deutschen Bekannten schreiben könne, was ihm von der Firma zugestanden wurde. Als er dann aber nach langem Warten auf die Auszahlung seines Lohns drängte, beschied man ihm, er solle sich nicht so haben, immerhin versuche er mit betrügerischen Mitteln, an sein Geld zu kommen.

Bei einem der Stadtrundfahrtbüros, bei denen Robson Tickets verkaufte, bekam er als freier Mitarbeiter sechs Euro pro Stunde. Stadtrundfahrtbüros beschäftigen normalerweise nur nichtselbständige Arbeitnehmer, genau dasselbe behauptete auch diese Firma von sich ­ offiziell. In dem Vertrag, den Robson mit dem Büro schloß, stand jedoch: „Für die mögliche Entrichtung der gesetzlichen Abgaben (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge etc.) ist Herr Barbosa selbst verantwortlich." Was bedeutete, daß Robson theoretisch als Selbständiger und praktisch als Schwarzarbeiter tätig war. Das Geld, das freie Mitarbeiter wie Robson erhielten, wurde offiziell über die wenigen festangestellten Mitarbeiter abgerechnet. Wer bei dieser Firma auch nur wenige Minuten zu spät zur Arbeit kam, mußte einen Lohnabzug hinnehmen. Wieviel jeder einzelne abgezogen bekam, war unabhängig davon, wieviel Zeit er versäumt hatte, sondern hing vielmehr von der Laune oder den Sympathien der Chefin ab. „Einige von uns mußten 25 Euro zahlen, andere dagegen nur zehn. Gerade so, wie es der Chefin paßte." Einigermaßen kurios übrigens, daß zeitweise ca. 70 Prozent des von der ausländerfeindlichen Chefin beschäftigten Personals Ausländer waren. Als Robson schließlich kündigen wollte, bekam er zu hören, daß das nicht ginge und er noch mindestens einen Monat länger arbeiten müsse, ansonsten würde ihm der noch ausstehende Lohn für den letzten Monat nicht ausgezahlt.

„Die denken sich, mit uns können sie es ja machen. Wir haben keine Ahnung, wir haben keine Versicherung, manche können nur schlecht deutsch. Zum Glück habe ich eine Rechtsschutzversicherung, ohne die würde ich mein Geld nie bekommen. Aber das dauert natürlich alles."

Es ist ein schwer zu durchbrechender Kreislauf: Angewiesen auf das Geld, nimmt Robson schlecht bezahlte Jobs an bei Arbeitgebern, die ­ vertrauend auf die Unwissenheit der Ausländer ­ den Lohn mit monatelanger Verzögerung auszahlen, wenn nicht einfach ganz einbehalten wollen, was ihn dazu zwingt, sich mit immer weiteren solcher Drecksarbeiten über Wasser zu halten. Es bleibt recht wenig Zeit, sich um die Doktorarbeit zu kümmern und mit ihrer Fertigstellung auch die „beschissene Situation" zu beenden.

Walter Poref

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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