Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
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Endstation Berlin

Die Akademie der Künste ehrt Edgar Hilsenrath mit einer Ausstellung

Ist er jetzt doch noch endlich, wirklich angekommen? Nicht nur eine biographische Odyssee hat der 1926 geborene Edgar Hilsenrath hinter sich, von seiner Geburtsstadt Leipzig über die Bukowina, das Ghetto in Transnistrien, Palästina, Frankreich, die USA nach Berlin. Auch seine Rezeptionsgeschichte ist mehr als verwickelt. Immer wieder engagierten sich größere deutsche Verlage und liessen den kontroversen Autor dann doch wieder fallen wie eine heiße Kartoffel. Seit zwei Jahren erscheint nun endlich eine Werkausgabe – nicht bei Suhrkamp oder Hanser, sondern im kleinen Dittrich Verlag; sein Archiv hat Hilsenrath letztes Jahr der Akademie der Künste übergeben, die daraus jetzt schöpfen konnte bei einer Ausstellung über sein Leben und Werk. Für nächstes Jahr ist ein neuer Roman mit dem Titel Berlin ... Endstation angekündigt. Die Ehrungen für den greisen Autor kommen sehr spät, fast zu spät. Warum?

Hilsenrath erfand ­ im Exil an seiner großen Liebe, der deutschen Sprache festhaltend ­ ganz eigenständige, unkonventionelle Mittel, seinem großen traumatischen Lebensthema, dem Horror im Ghetto, literarisch zu begegnen. Er war unbeirrbar genug, sich als deutscher Schriftsteller in den USA mit Gelegenheitsjobs mühsam über Wasser zu halten und mit langem Atem an seinem ersten Buch, dem Ghetto-Roman Nacht, zu arbeiten. In der BRD gab es für dieses Buch in den sechziger Jahren keine Fürsprecher. Einzig der Verleger Helmut Kindler war überzeugt, konnte sich damit aber nicht einmal in seinem eigenen Haus richtig durchsetzen. Der nächste Roman, Hilsenraths bekanntestes Buch Der Nazi&der Friseur, mußte erst in den USA zum Erfolg werden, ehe sich mit Helmut Braun in Köln wenigstens ein engagierter Kleinverleger dafür interessierte. Hilsenraths bitterböser schwar-zer Humor, die Anwendung von Mitteln der Satire und Groteske auf das Thema Holocaust, überforderte damals selbst wohlmeinende Leser. Ein Großkritiker wie Fritz J. Raddatz dekretierte, daß man so nicht darüber schreiben dürfe. Und überhaupt: Die Kinder der Täter wollten sich von den Opfern nicht dreinreden lassen bei der korrekten Aufarbeitung der Vergangenheit.

Wenn heute aber eine Hilsenrath-Ausstellung mit salbungsvollen Worten des Akademie-Präsidenten und Blick auf das Brandenburger Tor eröffnet wird, wenn sich niemand mehr daran stört, wie der jüdische Autor Opfer erbarmungslos als triebhafte, rücksichtslose Figuren zeichnet, dann kann einem das schon auch zu denken geben. Und wenn Nina Raven-Kindler, die Frau des Verlegers, in einem in der Ausstellung gezeigten Brief an Hilsenrath ihrer Befürchtung Ausdruck verleiht, das deutsche Publikum warte nur auf Stoff, „um seine antisemitische Haltung zu rechtfertigen": Muß man das nur als ignorant und kleinmütig lesen oder nicht vielleicht auch als Ausdruck einer Sensibilität im Umgang mit der Vergangenheit, die nach der rot-grünen Normalisierung in der „Berliner Republik" nicht mehr sehr verbreitet ist?

Edgar Hilsenrath, der immer auch unterhaltsam schreiben wollte, macht es seinen Lesern jedenfalls nicht leicht, sein Werk wirft Fragen auf und hat keine einfachen Antworten. Die Ausstellung in der Akademie der Künste ist ein guter Auftakt für eine eingehendere Beschäftigung mit dem vielleicht unbequemsten Exponenten der Holocaust-Literatur.

Florian Neuner

* „,Verliebt in die deutsche Sprache.' Die Odyssee des Edgar Hilsenrath", noch bis zum 15. Januar in der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Mitte, Di bis So 11 bis 20 Uhr

* Die Bücher von Edgar Hilsenrath erscheinen im Dittrich Verlag, www.dittrich-verlag.de

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