Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Böses, erwache!

Wenn Popbands die deutsche Flagge zeigen

Ich will morden/den Apparat, der Dich und mich bloß Apparat sein läßt. (Blumfeld, Von der Unmöglichkeit, ,Nein' zu sagen, ohne sich umzubringen)

MIch kann nicht über Nationalismus in der Popkultur, der Popmusik schreiben, ohne daß ich darüber eine Macke kriege. Zehnmal Adorno zitiert, zehnmal ist nix bei rausgekommen. Geschwafel in der linksradikalen Kulturleitzentrale: Initiativen wie I Can't Relax in Deutschland, die beflissen die Attraktivität von mit Nationalem aufgeladenem Pop mit einer haarigen Aufklärungskeule versuchen abzuschwächen. Das macht mir Kopfschmerzen. Die bringen noch alles auf den Hund mit ihrer versponnenen Teufelsaustreibung. Geht ihnen der Arsch auf Grundeis, steckt ihnen der ganze üble Nazi-Rock-Schock dermaßen in den Knochen, daß sie jetzt den Katechismus des Anti-Nationalismus an ihre Musiksammlungen heften müssen?

Udo Lindenberg würde „Gegen Nazis" auf seine Produkte kleben und gut. Das wäre platt, aber nicht unbedingt verkehrt. Ebensowenig stört mich, wenn Gruppen einfach auf Anti-Nazi-Demos spielen oder bei einem Abend von I Can't Relax In Deutschland, jener obengenannten, aus verschiedenen linksradikalen Gruppen in Leipzig (Conne Island-Umfeld) hervorgegangenen Initiative, die eine Aufklärungsschrift plus CD gegen nationalistischen Pop herausgegeben hat ­ und die darin gleich eine bestimmte ästhetische Theorie, Antirassismus-, Antisexismus-Leitlinien im Kulturschaffen fordert. Das macht einen ausgesprochen aufgeblasenen, unerotischen Eindruck. Deutsch wird als Pop-artikel vermarktet, ja, sehe ich. Und wer die diversen „Neue-Helden"- oder „Heimat-Kult"-Sampler kaufen mag, der sagt viel über sich und die Gesellschaft aus. Stimmt. Der Konsument ist sehr vertrauensselig gegenüber der Leitzentrale. Daraus Bekenntnisse für oder gegen Nationalismus oder Fundamentalismus abzulesen, ist schwer belegbar. Lediglich ein modisches, zeitgeistiges Mitschunkeln ist zu attestieren.

Wer ist nun Schuld am neuen Blümchen-Nationalismus-Hype? Vielleicht die rigorose Nazi-Rock-Tabuisierung? Bands wie Rammstein ­ eine auf Mainstream getrimmte Kopie von Laibach ­ punkten mit Reichsparteitagsduktus in der Stimme im In- und Ausland. Sie spielen ­ wenn auch sehr platt ­ mit den spezifisch deutschen Tabus, stellen die heile Nation auf den Kopf, machen ein bißchen Deutsch-Gruselshow. Solche Acts werden sicherheitshalber in Mainstream-Medien zensiert, obwohl sie ein Mainstream-Phänomen sind! Diese Angst der Kulturintendanten vor der realen Seelenlage lassen jene jetzt offenbar massiv Kuschelrock- und Pop-Versionen von nationalem Hardrock ­ als Trostpflaster ­ ins Programm nehmen. Zur Zeit der Neuen Deutschen Welle war Wahnsinn, als deutscher Faktor, der Verkaufsschlager. Allerdings domestiziert in Comedy- und Schlagerbezügen, z.B. bei der Gruppe Trio. Holocaust oder Faschismus verirrten sich nur sporadisch auf einschlägige NDW-Platten. Sie blieben als Themen für die breite Masse tabu.

Nach den linken Untergrundszenen haben die Rechten die Tabus entweiht. Stadionfüllende Bands mit rechten Verweisen und Gesten existieren heute, es gibt aber keinen rechtsradikalen Mainstream. Um den zu generieren, verfallen Rechte zur Zeit sogar auf die Taktik, Ton Steine Scherben-Stücke zu okkupieren ­ eine Strategie, die mich verwundert. Der Titel „Macht kaputt, was euch kaputt macht" paßt grob auf alle Widerstandsgruppen, läßt die Hörer aber hoffentlich bald von Menschenfeinden zu überzeugten Anhängern der Musik der Ton Steine Scherben zurückmutieren. Ich will einmal die These wagen, daß der Durchschnittshörer heute wie in den Achtzigern gar kein Verlangen nach Mythen und Volksempfängertum hat, sich aber gerne spielerisch durchaus mit seinen ­ nun mal auch bösen ­ Wurzeln auseinandersetzen will. Rammstein bei Wetten daß ...? wäre eine Bühne für weiterführende Diskussionen, nicht Spillsbury in der Volksbühne (siehe Foto). Diskutiert wurde dort ­ im Rahmen von I Can't Relax In Deutschland ­ über Nationalismus im Pop. Was die wortführenden Initiatoren wie Roger Behrens oder Martin Büsser mit ihrer puritanischen Kampagne anzetteln, das mag gut gemeint sein. Es kommt aber versponnen formelhaft daher, will schlaue Theorie sein und ist nicht mal mit der genauen Bestandsaufnahme fertig.

Demokratie-Nostalgie gegen historische Abgründe stellen die pathetisch-lustigen Heimat- und Heldenpop-Sammlungen zur Verfügung, immer begleitet vom Wunsch, den Fanatismus im Nakken unterdrücken zu können. Das ist wie Valium gegen Syphilis. Einschlafmusik entsteht so, ohne Sex und Widerstandsgeist. Der deutsche Durchschnitts-Pophörer traut sich tatsächlich im Angesicht der Götterdämmerung wegzudämmern. Da sind mir die knorrigen AC/DC-, Ärzte-, Wagner- oder Metallica-Fans lieber, die das Irre nicht negieren können, daher ­ korrekt, inkorrekt oder sonstwie ­ rocken möchten. Das subversiv Böse im Mainstream ist dort zumindest noch zu spüren. Im verfassungskonformen Heldenpop braucht es dagegen keine Anti-Helden mehr: Sie dienen dem Land, machen sich nützlich. Weder muß eine düstere Zukunft abgewendet, noch müssen klare Fehler der Vergangenheit abgearbeitet werden.

Daß sich linksradikale und musikalische Subkultur wieder stärker verflechten, muß für den Moment offenbar einseitiger Wunsch bleiben. Generalstabsmäßiger Kulturkampf ist mit deutschen subversiven Popmusikern leider nicht drin. Hab ich leider gesagt? Nein, ich bedaure dies nicht. Apparate-Resistenz zeichnet doch Subkultur aus, nicht? So freue ich mich stattdessen auf das erste chinesische Rolling Stone-Magazin, das gerade für 2006 angekündigt wird. Weitere 80 Millionen Leser trauern um Link Wray, feiern Neil Young, erfahren von dem ihrer Mao-Bibel nachempfundenen Deutschpop-Sampler I Can't Relax in Deutschland. Die darauf zu hörende Musik, von Bands wie Spillsbury, Tocotronic, Räuberhöhle, Mouse On Mars, Egotronic, Die Sterne, Von Spar, Stella, Knarf Rellöm oder Superpunk, erscheint ihnen nicht als stramm agitierender, sondern als Stereotypen störender Pop. Daher: Relax, don't believe the hype!

Jörg Gruneberg

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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