Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Demokratie und Tierhaltung

Angela Merkel versäumte es, die erste Berliner Heimtiermesse zu besuchen

Da man in der Altersgruppe der Unter-Dreißigjährigen heutzutage kaum noch jemanden findet, der eine solide popmusikalische Erziehung genossen hat, glauben die meisten juvenilen Klang-Konsumenten ja, daß Deborah Harry Blondie war. Aber das stimmt natürlich nicht!

Diejenigen, deren popmusikalische Erziehung gediegener vonstatten ging, signalisieren nun durch heftiges Kopfnicken Zustimmung und behaupten altklug, daß Blondie selbstverständlich eine 1975 in New York gegründete Band war, deren bekanntester Song auf den Namen „Denis" hört. Aber auch das ist falsch!

In Wahrheit war Blondie eine Hündin. Genauer gesagt, war sie die stolze und gutgebaute Deutsche Schäferhündin von Adolf Hitler. Bis ins Grab war sie ihrem Herrchen stets der beste Freund des Menschen. Leute wie Adolf Hitler brauchen bekanntlich solche Freunde, weil sie unter Menschen keine haben. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß jeder Heimtierhalter ein faschistischer Misanthrop ist. Die Entnazifizierung und der Parlamentarismus haben in den letzten 60 Jahren dazu geführt, daß heutzutage auch Demokraten, Humanisten und Philanthropen aller Gesellschaftsschichten Haustiere halten. Bloß weil Adolf Hitler ein Hundenarr war, darf man nicht alle Tierfreunde pauschal verdammen. Das wäre ungefähr genauso falsch, als befürwortete man die Kanzlerschaft Angela Merkels bloß deshalb, weil Frau Merkel eine Frau ist.

Daß die Liebe zum Haustier und die Liebe zur freiheitlich demokratischen Grundordnung Hand in Hand gehen, ist inzwischen eine Binsenweisheit ­ spätestens seit dem beherzten Engagement der Ex-Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf für die „Winston Holly Line". Während sich andere Politiker-Gattinnen immer nur für Menschen einsetzen, die an Krebs, AIDS oder Alzheimer erkrankt sind, kommt Frau Schröder-Köpf das historische Verdienst zu, den vom Gatten geborgten Ruhm endlich für „hochwertige Hundeaccessoires" genutzt zu haben. Körbchen, Kauknochen, Shampoo, bißfestes Spielzeug und ein Adventskalender für Hunde, deren Verpackung das Konterfei vom Ex-Kanzler-Terrier Holly zeigt, werden eines Tages in den Geschichtsbüchern ebenso untrennbar mit der Regierungszeit Schröders verbunden sein wie die entschlossene Verteidigung der Freiheit am Hindukusch und das ergriffene Durchschreiten überfluteter Altstädte in Ostdeutschland.

Über Otto Schilys weiße Angorakatze, Guido Westerwelles Wellensittich und Renate Künasts Pony will ich mich hier gar nicht auslassen. Stattdessen komme ich zu einer echten Alternative für all diejenigen, die mit Mißmut an die jetzige Regierungschefin denken. Frau Merkel ist ja nicht nur kinderlos, sondern besitzt, soweit ich weiß, nicht einmal ein Haustier. Zwar ließ sie sich im Wahlkampf von der Bild am Sonntag mit ihrem Ehemann und einem frisch gefangenen Fisch fotografieren. Aber mit toten Fischen kann man die Herzen der Massen natürlich nicht erobern. Gleiches gilt für Ehemänner, die sich statt mit bißfestem Hundespielzeug mit Naturwissenschaft die Zeit vertreiben. Da es in der Demokratie aber immer um die Herzen der Massen geht, hier jetzt endlich die echte Alternative zu Frau Merkel: der Berliner Hundeskanzler „Rambo". Gewählt wurde er von den Lesern des Berliner Kuriers im Rahmen einer tollen Mitmach-Aktion für Demokraten, Humanisten und Philanthropen aller Gesellschaftsschichten. Was dabei herauskam, hat besagtes Blatt mit unnachahmlichem Wortwitz wie folgt festgehalten: „Der Berliner Kurier hat gemeinsam mit dem Hundestag zur Wahl aufgerufen. Aus den Reihen der stärksten Fraktion sind aus 1000 Vorschlägen 160 Hunde nominiert worden. ‚Rambo' konnte schließlich mit seinem Hunde-Regierungs-Programm überzeugen. Das Hundeskabinett hat eine Vier-Bein-Stärke von 50 Hunden. Gemeinsam werden sie am Samstag, 22.10.2005, um 14 Uhr die erste Berliner Heimtiermesse besuchen."

Weil ich die freiheitlich demokratische Grundordnung mindestens so rattenscharf finde wie die „Winston Holly Line", begab ich mich natürlich umgehend zur ersten Berliner Heimtiermesse in die Arena. Leider kam ich zu spät. Der Hundeskanzler war schon wieder davon geeilt, um sein Amtsgeschäftchen zu machen. Trotzdem ging es dort herrlich demokratisch zu. Man fühlte sich wie auf der Besuchertribüne des Reichstags. Hier wurden in freier und geheimer Wahl die schönsten Rassekatzen gewählt. Dort wurden exekutive Verfahrensfragen zwischen Herr und Hund mittels Power-Point-Präsentation erläutert. Und als Höhepunkt humanistischer Gesinnung konnte vom Notmeerschweinchen e.V. auch noch gegen Einzelhaft und Zwangsernährung protestiert werden, ohne daß der Verfassungsschutz versucht hätte, die Sympathisanten-Szene zu durchdringen.

Wie in einer Mediendemokratie nicht anders zu erwarten, gab es natürlich auch Talk-Runden mit Experten für Zierfischaquarien, Signierstunden berühmter Fachautoren für Katzenmöbel und wieder eine tolle Mitmach-Aktion für Demokraten, Humanisten und Philanthropen aller Gesellschaftsschichten, bei der man z.B. ein Leuchthalsband oder eine Hundewurst gewinnen konnte. Das Volk jubelte euphorisch, vollzog zuhauf La-Ola-Wellen und grölte entfesselt: „Ich hab' Demokratie, keine Leidenschaft ist wie sie!" Gotthilf Fischer, Heinz Sielmann und Jürgen Habermas hätten ihre helle Freude an diesem Chor tierliebender Verfassungspatrioten gehabt.

Leider konnten die gerade erwähnten Dichter und Denker aus terminlichen Gründen nicht persönlich anwesend sein. Aber ihr Geist schwebte über der Arena wie ein Luftschiff über Brandenburg. Wann, liebe Leserin und lieber Leser, hat Angela Merkel jemals solche Ekstasen demokratischer Lust zu entfachen vermocht? Wann? Mir fällt keine einzige Begebenheit ein, bei der dies der Fall gewesen wäre. Daher, so vermute ich, werden wir auf bundespolitischer Ebene die nächsten vier Jahre in tier- und freudloser Dunkelheit verbringen müssen und uns wehmütig nach Hollys Kauknochen zurücksehnen, wie die Briten nach Diana Spencer. Der einzige Trost, der uns bleibt, besteht darin, daß dieses Jahr die erste Berliner Heimtiermesse stattfand und daß auf Eins üblicherweise Zwei folgt. Wer also nicht zu einem faschistischen Misanthropen verkommen will, der achte nächstes Jahr unbedingt auf die entsprechenden Bekanntmachungen und besuche, „Heart of Glass" summend, die zweite Berliner Heimtiermesse. Einfach mal Gesicht zeigen! Demokratie ist artgerechte Tierhaltung!

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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