Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Von der Kunst und vom Handeln

In Leipzig ist zur Zeit die zweite Ausstellung des Projekts Schrumpfende Städte zu sehen

Bis zum 29. Januar wird in Leipzig in der Galerie für zeitgenössische Kunst die zweite Ausstellung Schrumpfende Städte gezeigt. Thema des Kulturereignisses ist diesmal nicht mehr die Analyse der Schrumpfungsprozesse, sondern: mögliches Handeln. Daß das Handeln viel schwieriger als das Beschreiben ist, zeigt sich schon daran, daß die Eröffnung mehrmals verschoben wurde; ursprünglich war sie bereits für August geplant.

Nun liegt sowohl das Buch Schrumpfende Städte. Band 2: Handlungskonzepte vor als auch eine Reihe von Vorschlägen, wie kulturell, sozial oder ökonomisch auf Schrumpfungsszenarien reagiert werden kann. Dabei spannt sich ein weites Feld auf. Es reicht von praktischen Ideen, mit brachliegendem Raum und Ressourcen umzugehen, bis hin zu großangelegten Ab- und Umsiedlungsentwürfen; von der Herausforderung, Menschsein und Berufung außerhalb von Berufstätigkeit zu definieren, bis zum Versuch, den Abschied von etwas in Kunst umzusetzen.

Daß das Nachdenken über mögliche Wege für schrumpfende Städte und Gemeinwesen im Kontext Kunst stattfindet, bedeutet, daß die Gedanken frei schweifen können, alles und nichts möglich ist, Denkräume geöffnet werden können und zugleich vieles im Vagen bleibt. Gut daran ist, daß nachgedacht werden kann, bevor ein Fachmann, Betriebswirt oder Politiker die Realismuskeule schwingt und dem Prozeß ein Ende bereitet. Schlecht daran ist, daß es möglicherweise dabei bleibt.

Unter dem Titel „Cow the udder way" lassen zum Beispiel Liverpooler Architekten fünf Kühe und fünf Kälber einige Tage lang mitten in der Stadt weiden. Ein gutes Bild, eine irritierende Intervention, mit der die Künstler faßbar machen, wie sehr Urbanität in der Vorstellung mit Industriearbeit, vielleicht auch mit Dienstleistung, verbunden ist und wie sehr andere Nutzungen befremden.

„Claiming Land" läßt in einem symbolischen Experiment bestimmungsloses Land an Besitzlose verschenken. Ob funktionslos gewordene Güter, Häuser oder Land verschenkt werden, könnte bald zu einer ebenso entscheidenden wie strittigen Frage werden. Es wäre zu hoffen, daß sie über den geschützten Kontext der Kunst hinaus diskutiert würden.

Mindestens zwei Anregungen hantieren mit Ideen von Sonderwirtschaftszonen in den schrumpfenden Regionen ­ „Exterritories" flockt schwarzhumorig eine Vision von der Region Halle-Leipzig als chinesischer Sonderwirtschaftszone auf den Tisch ­ und will einen entsprechenden Vorschlag eines chinesischen Developers in einer öffentlichen Anhörung inszenieren. Ein Fake, der eine Diskussion provozieren soll. Wir hatten die Einladung zur Veranstaltung auf dem Redaktionstisch liegen und haben herzlich gelacht, denn es ist ja eine sympathische Idee ­ doch hingegangen sind wir nicht.

Ein anderer Vorschlag „Sonderwohlfahrtszone Forst" spielt das Thema „Sonderzone" ernsthaft durch: Vielleicht kann man dieses Feld ja den Konservativen entreißen und ins hoffnungsvoll Utopische wenden? Die Autoren denken an eine Synthese von Wohlfahrtsprojekt und Sonderwirtschaftszone, mit lokaler Selbstverwaltung, garantiertem Grundeinkommen und zugleich radikaler Kommunalisierung und Deregulierung von Arbeits-, Bau-, Wirtschafts- und Sozialrecht. Der Gedanke ist interessant, und er nimmt die oft gehörte Floskel beim Wort, man solle die schrumpfenden Regionen zu Experimentierfeldern machen. Doch er ist auch problematisch ­ denn was richtet Deregulierung von Arbeitsrecht in Sonderzonen dort an, wo es noch kein garantiertes Grundeinkommen gibt? Auch diesem Konzept wünscht man, daß es ernst genommen werden möge, und daß man nicht in einer Kunstgalerie in Leipzig, sondern lieber im Bundestag darüber debattiert.

Das Projekt „Bau an" versucht bewußt den Raum des Ideendroppings zu verlassen, indem es Edelpilzzucht im Plattenbau vorschlägt ­ ganz so, als wäre es eine Kneipenidee ­ dann aber einen kleinen betriebswirtschaftlichen Teil anhängt, um auszurechnen, ob eine Pilzfarm im WBS 70 tatsächlich möglich ist. Sehr schnell ist man hier wieder dabei, einen Betrieb durchzurechnen, der bei knapper Kalkulation und hoher Arbeitsintensität ein bißchen Mehrwert erzeugt. Ein schnödes Unternehmen? „Bau an" sagt: Es geht um viel, viel mehr. Darum nämlich, in den neuen Bundesländern aus eigener Kraft etwas zu machen, ohne Subvention, ohne Aufbau Ost, ohne Abriß und Vernichtung von Werten, die demütigend ist. Vielleicht eine Pilzfarm, vielleicht aber auch ... Karpfenteiche, Bauchtanz oder Weihnachtsbaumplantagen.

Man sollte daran weiterarbeiten – den Mut des Visionärs mit dem Blick des Praktikers verbinden. Ob Schrumpfende Städte 2 ein Beitrag dazu ist – es wird sich zeigen.

Yin Tan Fu

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 10 - 2005 © scheinschlag 2005/06