Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ditte & Menschenkind

Hoch oben der Große Wagen

Es ist früher Abend, die Menschen der Großstadt drängen sich auf dem Bahnsteig der Tiefpreisstation Schöneweide, gefüllte Einkaufstüten, deren jede zweite in großen Buchstaben behauptet: ICH BIN DOCH NICHT BLÖD, zwischen den Beinen, je nachdem, wieviel Platz noch ist. In dieser gedrängten Menschenmenge hat sich eine Schneise gebildet, durch die ein großes Mädchen, mit Oberlippenbart und einer Art Teletubby-Mütze auf dem Kopf, hindurchprescht und Reden an das Volk hält. Wir wollen nach Hause steht auf allen Gesichtern. Laß mich in Ruhe sagen die hängenden Schultern. Weit unten, über dem rauschenden Verkehr, dudelt es weihnachtlich aus Lautsprechern.

„Einstein, Ausstein!" ruft der Bahnsteigbeauftragte. Er hat noch nicht einmal Zeit und Nerven für das obligatorische Bitte.

Menschenkind schleicht durch die Schneise, verfolgt von dem lauthals räsonierenden Wesen.

„Da isser wieder, wie der schon aussieht, die Schuhe! Also ... und erst der Mantel, man siehts ja sofort. Dieser blöde Außerirdische, soll doch zurück in seine Heimatgalaxis, oder etwa? Hähähä." Mit dem Mut der Verzweiflung verflucht Menschenkind das komische Mädchen. „Ach, beam dich doch selbst ..." Dabei eilt er zu Ditte hin, zwischen der auch ein Beutel mit ICH BIN DOCH NICHT BLÖD steht.

Das Wesen steuert Ditte an.

„Da isser wieder, der blöde Außerirdische", trötet es und weist in Richtung eines silbern changierenden Jünglings im Thermolook mit durchaus bleichen Wangen, eingeklemmt zwischen Menschen und deren Beuteln. „Ach ja, den kenne ich doch", sagt Ditte. „Wo der wohl herkommt?"

„Naja, würde sagen, Andromedanebel. Oder vielleicht doch eher Perseiden, diese Richtung."

Endlich die S-Bahn! Menschenkind atmet auf.

„Komm, Ditte, unsre!"

In der Bahn geht das Gedrängel weiter, aber dem, sagen wir einmal, Außerirdischen gelingt es noch, einen Sitzplatz zu ergattern. Kosmische Tatkraft! Neben Menschenkind taucht das Wesen auf und grinst ihn an. Der Außerirdische steckt die Stöpsel seiner Freisprechanlage tiefer in die Ohrmuscheln, zieht aus der Thermokluft ein galaktisch glimmendes Handy.

„Wir können offen reden." Das Wesen zeigt auf den Verstöpselten und wendet sich wieder Ditte zu. „Es gibt schon so viele von denen hier unten, die könnten doch alle wieder abhaun nach da oben. Oder? Oder etwa, wa?"

Menschenkind beißt sich auf die Zunge, nickt und schüttelt sich. Ditte hingegen scheint sich auf geheimnisvolle Weise mit dem Wesen einig zu sein. „Ja, mindestens Hunderttausende von denen leben in Berlin." Warum Ditte immer so übertreiben muß bei ihren Anbiederungsversuchen, fragt sich Menschenkind und hüstelt.

Baumschulenweg zieht der Außerirdische seine Stöpsel aus den Ohren. Das Wesen lächelt ihn grimmig an und hängt sich fast an Menschenkind. „Willst du wissen, wie die sich hier materialisieren? Durch intergalaktische Highspeedturboemulgatortransmission, ja, die haben so Möglichkeiten zu beamen und so." Wenn das sich noch näher an Menschenkind herandrückt, explodiert der gleich. Ditte drängt sich dazwischen.

„Wie schaffen die das nur auf die Fensterbänke? Ganz Schöneweide ist schon von ihnen übersät." Das ist natürlich Wasser auf Mühlen. „Die können sich so klein machen, daß man sie fast nicht sieht, aber siehste ja hier, die können auch anders. Fläzen sich hin in der S-Bahn, als wenn nichts wär. Aber wir wissen ja, wer die sind."

Der Überirdische steht auf.

„Grüßen Sie Ihren Sohn", ruft er im Aussteigen Ditte zu.

„Ach, Wendelin! Grüß deine Mutter von mir!" Menschenkind versteht die Welt nicht mehr. Er zerrt Ditte zur Tür. „Ich halt's nicht mehr aus, wir müssen hier raus!"

Sie entkommen im letzten Moment.

„Hier ist doch gleich die Planetenstraße. Wo wollt ihr denn hin?" ruft das Wesen hinter ihnen her. Aber der Wagen, der rollt. Auch der Große, hoch droben. Als Ditte ihren Blick für den Überblick zurückgewonnen hat, räsoniert sie.

„Mensch , ich bin ganz schön blöd! Hätte dem Wendelin gleich was mitgeben können! Seine Mutter wollte doch auch ein paar von den Aliens. Waren ja schließlich so günstig ..."

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

www.schöneweide.de

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 10 - 2005 © scheinschlag 2005/06