Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Sicherheitsgewinn der Spitzenklasse

Die E-Klasse unter den Pässen bringt uns die totale Kontrolle

Im November soll er erstmals ausgegeben werden: der „ePaß", das Reisepapier mit integriertem Mikrochip, auf dem biometrische Merkmale des Inhabers gespeichert sind. Berührungsfrei kann ein Computer zunächst das Foto mit dem Gesichtsbild des Paßträgers vergleichen, ab 2007 sollen auch Fingerabdrücke und Irisdaten aufgenommen werden. Innenminister Schily will ein fälschungssicheres Produkt der Spitzenklasse haben, das denen anderer Länder überlegen ist.

Es ist mal wieder die EU, die die Einführung des neuen Dokuments beschlossen hat, aber man darf annehmen, daß Schily sich nicht gewehrt hat. Einen „Sicherheitsgewinn" verspricht er vor allem jenen, die sich über die Kosten von 59 Euro beschweren: „Deutsche Bürgerinnen und Bürger werden mit ihren Dokumenten weltweit sicher reisen können." Aber was meint er mit dieser vagen Formulierung? Der ePaß wird seinem Inhaber keine Sicherheit in dem Sinne bringen, daß man Kriminalität oder Armut nicht mehr fürchten müßte. Es geht lediglich darum, das Dokument vor Fälschungen und Mißbrauch zu sichern, der Amtsperson die Zuordnung von Paß zu seinem berechtigten Inhaber zu erleichtern, insgesamt also den staatlichen Identifikationsakt zu verbessern.

Damit ist das Reisedokument auch ein Reiseverhinderungsdokument. In Schilys Variante dient der Paß nämlich nicht dazu, das Überschreiten von Grenzen zu ermöglichen, sondern umgekehrt: Der ePaß dient der Abwehr von Menschen, der Selektion in unerwünschte und erwünschte Ausländer an der Grenze: „Kein Terrorist soll mit gefälschten Papieren oder echten Dokumenten, die in Wirklichkeit nicht ihm gehören, einreisen können."

Bürgerrechtlich gesehen, kann man über die Einführung des ePasses nicht froh werden. Bei Beantragung muß man sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen, die bisher Tatverdächtigen vorbehalten war: Das Gesichtsbild wird in einen Rechner eingelesen, demnächst wird auch die Iris gescannt und Fingerabdrücke genommen. Was dann mit den Daten geschieht, weiß keiner so recht. Selbst wenn der Innenminister Glauben machen will, daß mit den gesammelten Daten kein Mißbrauch getrieben werden kann ­ wer kann das schon überprüfen? Deshalb bleibt Mißtrauen die erste Bürgerpflicht. Zumal auch noch bezweifelt wird, zum Beispiel von der Humanistischen Union, ob die erhobenen Daten geeignet sind, das Papier fälschungssicher zu machen.

Potentielle Straftäter werden durch den Chip ohnehin nicht abgeschreckt: „Kein Bürger sollte glauben, durch die Biometrie in Ausweisen könnten Terroristen gefangen werden. Schließlich haben die Täter in der Vergangenheit immer einen gültigen Paß besessen", sagt Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs. Denn was ist das Charakteristikum eines „Schläfers"? Daß er sich vollkommen rechtstreu und insgesamt unauffällig verhält. Selbstmordattentäter leben bereits im Lande oder reisen mit ihren Originaldokumenten.

Da man Terroristen mit dem ePaß an der Einreise nicht hindern wird, werden in der Praxis wahrscheinlich vor allem wieder „kleine Fische" geschnappt. Man wird beispielsweise nun zielsicherer Demonstranten oder Fußballfans an der Ausreise hindern können, die in irgendwelchen Karteien als Gewalttäter bezeichnet werden. Wer dort hineingeraten ist, hat sich nicht unbedingt etwas zuschulden kommen lassen. Aber diese Frage ist dem Grenzer oder anderen Amtspersonen gleichgültig, nachprüfen können sie sie ohnehin nicht. Die Lasten trägt derjenige, der in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird.

Die Verfahren zur Bewegungskontrolle werden mit dem ePaß erneut verbessert. Was waren das noch für Zeiten, als der Volkspolizist im Fahndungsbuch nachschlagen mußte, ob etwas gegen die kontrollierte Person vorliegt! Inzwischen werden Personendaten automatisch abgefragt und mit anderen Daten abgeglichen. Da sieht man nichts, da hört man nichts, da spürt man nichts. Erst wenn man zum Objekt einer Amtshandlung wird, etwa in Polizeigewahrsam sitzt, stellt man fest, daß man schon im Visier des Staates war, es bloß noch nicht geahnt hatte. Der Grundrechtseingriff erfolgt heute unbemerkt, subtil, geräuscharm. Und deshalb empfindet man staatliche Herrschaft nicht als bedrückend. Durch diese kognitive Leistung ist man scheinbar freier, das Leben aber gleichzeitig vermachteter als ehedem.

Dabei ist der ePaß nur die Spitze eines Eisbergs. Viel zu selten skandalisiert werden weitere Großprojekte, die die Integrität der Bürger bedrohen. Gleichwohl werden sie von der Bundesregierung vorangetrieben: Der Verkehrsminister hat die LKW-Maut, das heißt ein satellitengestütztes System zur Verkehrsüberwachung, eingeführt, maschinenlesbare Kfz-Kennzeichen gibt es schon lange, die Gesundheitsministerin protegiert die elektronische Gesundheitskarte, und Mobiltelefone darf die Polizei bereits jetzt als Peilsender verwenden. Dazu kommen die zahlreichen Payback- und anderen Karten, die von Unternehmen ausgegeben werden. Die digitale Neuvermessung der Republik und ihrer Bürger ist im vollen Gange.

Angesichts der fortschreitenden Vermachtung des täglichen Lebens ist Freiwilligkeit das entscheidende Kriterium: Stimmt man der Überwachung zu oder nicht? Niemand wird gezwungen, Rabattkarten zu verwenden. Niemand muß ins Ausland reisen. Es besteht keine Pflicht zur Internetnutzung. Insofern gibt es die Möglichkeit, sich den vielfältigen Formen der Überwachung zu entziehen. Aber wie lange kann man diese Strategie durchhalten?

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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