Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 4/00

Ganz Berlin liebt seine BVG

O-Töne aus der U-Bahn

Foto: Bernd Potschkain scheinschlag 11/99

Beratungsresistent. Dieses schöne Wort hat Michael Cramer, der unerschütterliche Verkehrsexperte der Bündnisgrünen, der BVG kürzlich vor den Latz geknallt, als sie die jährliche Fahrpreiserhöhung durchzog ­ gegen sämtliche Expertenmeinungen. Die Schlußfolgerung, die daraus gezogen werden kann: Die BVG hat jeglichen Kontakt zu ihrer Kundschaft verloren, ist völlig auf sich allein gestellt und weiß nicht mehr, was sie tut. Die Kunden haben ihre BVG aber immer noch ein bißchen lieb, wie folgende Umfrage zeigt.

„Fahrpreiserhöhung, wieso? Das kostet doch schon jahrelang konstant 60 Mark. Ich weiß sowieso nicht, warum die Leute noch Geld in diese unpersönlichen Automaten stecken. Ich bezahl immer nur bei den freundlichen Uniformträgern, die sich zu mir herbemühen. Da ist man als Kunde noch König!"

Jörg F., 31, Bautischler aus Friedrichshain

„Ich hab gehört, die wollen jetzt auch wieder die Holzklasse einführen. Ich stell mir das so vor: Dampfzüge und Pferdestraßenbahnen zu historischen Preisen. Kaiserzeit-Nostalgie ist doch in, gerade. Die Züge würden wahrscheinlich hoffnungslos überfüllt sein, weil alle Touristen da reinstürmen."

Georg W., 49, Finanzbeamter und
Hobbyhistoriker aus Tiergarten

„Ey, immer diese Scheißumfragen. Das geht mir voll am Arsch vorbei. Ich hab andere Probleme, Mann. Du hast ja gar keine Ahnung, was bei mir zu Hause abgeht. Und dann kommst du hier mit deinem Sozialarbeiterquark. Ey, laß stekken, Alter!"

Frau, Ende 20, Wedding

„Ich hab mir überlegt, die Uni zu wechseln. In Frankfurt/Oder kostet das Semesterticket gerade mal halb soviel wie hier. Und dafür kann ich in ganz Brandenburg rumgurken. Gerade das Brandenburgische hat doch seine Reize. Fontane hätte in heutiger Zeit bestimmt das gleiche wie ich gemacht."

Jana V., 21, Studentin der Vergleichenden
Literaturwissenschaft mit Osteuropa-
Schwerpunkt, Prenzlauer Berg

„BVG? Nee, mit dem Bundesverfassungsgericht hatte ich zum Glück noch nie was zu tun." Hartmut-Arnulf P., 52,

Versicherungsagent aus Zehlendorf

„Daß Sie gerade mich fragen müssen! Ich arbeite in der Automobilbranche. Leitende Funktion. Eigentlich bin ich gar nicht hier, aber mein Fahrer ist krank und mein Führerschein in der Inspektion ­ Sie verstehen. Sagen Sie bloß keinem, daß Sie mich hier gesehen haben!" X. Y., etwa 50, Manager,

vermutlich süddeutscher Raum

„Meine Mami sagt: BVG ist doof. Aber ich kann noch nicht Fahrrad fahren."

Luisa-Anastasia, 4, aus Schöneberg

„Vier Mark? Na, früher hat die Fahrkarte mal 20 Pfennig gekostet. Das ist ja 'ne Preissteigerung von ­ na, warten 'Se mal ... ­ von 2000 Prozent! Na ja, wir ham ja auch das Jahr 2000. Man muß mit der Zeit gehen." Martha D.,

68, Rentnerin aus Mitte

„Meine Kumpel fahren alle Auto. Aber der ökologische Aspekt muß doch auch berücksichtigt werden, wa. Und kuck mal, die neue Anzeigetafel zeigt an, wann der nächste Zug kommt. Das ist doch schon Luxus. Dafür kann man doch ein bißchen was zahlen, oder? Was kuckst'n jetzt so komisch?"

Aydin Ö., 34, Kaufmann aus Kreuzberg

Umfrage: Hanns Mentjes/Ragna Lindström

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