Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Det is'n Leben

Zumindest geht es weiter: Pfitzner und seine Nachfolger heute

Herr Pfitzner, na, das war schon einer. Gibt's wohl noch mehr Leute, die so die Klappe aufreißen wie er? Ob man seine Statements nun mag oder (eher) nicht, der Mann polarisiert. Ich bin auf der Suche nach Pfitzners Nachfolgern. Aber erst mal werde ich Pfitzner selbst fragen, wie es geht und was aus seiner Partei, seinem Geschäft und den ehemaligen Nachbarn geworden ist. Ich fahre in den Nikolaikiez, wo sich die letzte Bastion des Pfitznerschen Traditionsbetriebs befindet – gewissermaßen ein Umweg, denn ich selbst wohne seit fast zehn Jahren im Helmholtzkiez und bin alles andere als begeistert über dessen Entwicklung. Wahrscheinlich ist sogar das Nikolaiviertel weniger touristisch! Ich will mir jetzt weder prophylaktisch den Schuh der bösen Zugezogenen anziehen noch rumjammern, aber: die Leute in den Cafés widern mich an, alle sehen immer so schick aus, sitzen das ganze Jahr über draußen und erwärmen die Luft unnötig mit den eigens für sie aufgestellten Gasheizern und ihrem wichtigen Gerede.

Nikolaiviertel, Poststraße: Draußen glitzert die Herbstsonne auf dieses Stück unwirklich-historische Berlin, in der Lederboutique „La Binia" umfängt mich erst einmal Halbdunkel. Es riecht, wie sollte es anders, nach Leder. Für mich unerschwingliche Jacken, Mäntel und Taschen hängen überall. Hinter der Kasse steht resolut und sehr aufrecht, wie sich das für ehemalige Tänzerinnen gehört, Zweta Pfitzner. Ihr Mann hat vor zwei Jahren einen Schlaganfall gehabt, nun führt sie das Geschäft, in dem sie seit dem Ende ihrer Tanzkarriere mitgearbeitet hat. Wir kommen auf die DDR-Künstlerrente zu sprechen, die von der BRD nie anerkannt wurde und für deren Auszahlung Frau Pfitzner und ihre Kolleginnen heute noch kämpfen, auf das Studium der Tochter, das in der DDR wohl nicht möglich gewesen wäre, auf die Wohnung, die ehemaligen Nachbarn ­ „die besuchen wir immer noch" ­ und den Laden, der nicht schlecht läuft. Auswahl, Qualität und Service seien in Berlin sonst nirgends so zu finden. Über ihren Mann spricht Frau Pfitzner wenig. Er habe sich zu sehr geärgert, damals nach der Wende. Die Partei der Unzufriedenen gab es aber nur kurze Zeit, „das war so eine Phase". Zum Glück? Schwer zu sagen.

In der Göhrener Straße im Prenzlauer Berg betreibt nun statt Pfitzners Ledermoden das Tischtennis-Sportgeschäft CONTRA Berlin die großzügig geschnittenen Ladenräume (es gab hier immerhin mal eine Werkstatt: Produktion!). Patrick Strahl, der seit 1997 Profis und Laien mit Ausstattung versorgt, hat die Räume 2003 übernommen und umgebaut. Statt der Lederwerkstatt befindet sich nun eine Tischtennisplatte im hinteren Bereich des Ladens. An den Wänden hängen Fotos von Turnieren. Zu Strahl, der selbst bei Borussia Spandau in der zweiten Tischten-nis-Bundesliga spielt, kommen Profis aus ganz Berlin und Brandenburg. „Det is' ne persönliche Sache", meint ein junger Spieler aus Treptow. „Bei Tischtennis muß Sympathie bei sein." Aus diesem Grund bleibt er Patrick Strahl treu und läßt sich heute für 50 Euro zwei Schläger neu beziehen. Ein Angebotspreis, den wir Laien, die wir höchstens mal auf dem Helmholtzplatz oder bei Dr. Pong mit Kellen aus dem letzten Jahrtausend Rundlauf spielen, nicht nachvollziehen können. „In letzter Zeit kommen deutlich mehr Leute vorbei, weil Tischtennis-Spielen gerade in ist. Das freut mich natürlich, und ich finde solche Phänomene wie die Tischtennis-Bars auch interessant. Da kommt ein Haufen Leute zusammen und hat einfach nur Fun!" Das Geschäft macht der 25jährige allerdings eher mit den Vereinen und den Profis, seinen Stammkunden.

Mit elf Jahren spielte Patrick Strahl in der Regionalliga, mit 17 eröffnete er den Laden – damals noch als Nachbar Pfitzners. Seine Eltern unterstützten ihn, und noch heute hilft Mutter Strahl bei der Buchhaltung. Geduldig beantwortet Patrick Strahl meine Fragen nach Schlägern, Belägen, Spezialklebern und seinem Leben als Profispieler und Ladenbesitzer. Eigentlich ist er ein würdiger Nachfolger Pfitzners, denke ich, als sich die Ladentür mit einem Klingklong hinter mir schließt: Fachhandel bleibt Fachhandel und Familiengeschäft eben Familiengeschäft. Die vielen Bäckereien, die aus dem Kiez verschwunden sind (und mit ihnen weltberühmte Splitterbrötchen und unnachahmliche Grummeligkeit), hatten nicht so viel Glück mit ihren Nachmietern.

Konstanze Schmitt

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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