Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
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scheinschlag 7/99

Quartiersmanagement in Zehlendorf?

Alarmierende Studie: Sozialer Notstand droht

Der fortschreitende soziale Abstieg Berlins macht auch vor ehemals gutbürgerlichen und wohlhabenden Stadtbezirken nicht mehr halt. So sind die jüngsten Berichte über die Entwicklung im Zentrum Zehlendorfs alarmierend. Zwar sei die Lage noch nicht so dramatisch wie etwa in Kreuzberg, Beobachter warnen aber davor, die Probleme zu unterschätzen: „Wenn nicht bald gegengesteuert wird, so muß man den sozialen Notstand ausrufen", zieht Wilfried Liebig, Leiter des Sozialforschungsinstituts sociodata, das Fazit aus seiner Sozialstudie.

Als Strategie käme das Quartiersmanagement in Frage ­ ein Projekt, das derzeit in 15 Berliner Kiezen angelaufen ist und die dortigen Probleme mit den vor Ort vorhandenen Kräften lösen will. Inwieweit dieser Ansatz erfolgsversprechend ist, kann noch nicht abgesehen werden.

Daß die Einsetzung eines Quartiersmanagers notwendig ist, versucht eine nicht-repräsentative Studie von sociodata zu belegen. Danach lebt im Gebiet ein hoher Anteil von Menschen, die von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Das sind neben Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen auch Rentner und Beamte. Letztere zahlen auch keine Sozialbeiträge, so daß die öffentliche Hand doppelt unter der hohen Beamtendichte leidet. Die auf den ersten Blick niedrigere Kriminalitätsrate relativiert sich, wenn man auf die Art der Straftaten sieht: In Zehlendorf herrschen Wirtschaftskriminalität und Finanzdelikte vor, die einen weit größeren Schaden verursachen als die Kleinkriminalität in den innerstädtischen Problembezirken.

Das mangelnde Bewußtsein der Zehlendorfer für den öffentlichen Raum zeigt sich deutlich in einem Bericht des bezirklichen Naturschutz- und Grünflächenamtes: Jahr für Jahr werden immer mehr Blumen aus den öffentlichen Parkanlagen gestohlen. Bürgermeister Klaus Eichstädt (CDU) schätzt den dadurch im Jahr 1998 entstandenen Schaden auf mindestens 42000 Mark und sieht im grassierenden Blumenklau ein „gesellschaftliches Phänomen", das in der Familie und in den Schulen bekämpft werden müsse.

Darüber hinaus benutzen die Zehlendorfer den öffentlichen Raum lediglich als Abstellplatz für ihre zahlreichen Autos und verschanzen sich hinter Zäunen, Bewegungsmeldern und Alarmanlagen in ihren Häusern. Wilfried Liebig spricht daher von einem „stark unterkühlten Sozialklima". Das Quartiersmanagement sei dazu geeignet, „die Leute aus ihrer Lethargie herauszureißen", so Liebig. Die Potentiale, um Zehlendorf wieder lebenswert zu machen, seien massenhaft vorhanden, meint der Sozialforscher, „schließlich wohnen ja jede Menge Akademiker hier".

Nicht zuletzt sei die Einrichtung eines Quartiersmanagements in Zehlendorf auch ein Stück Gerechtigkeit für die Peripherie. Den Stadtentwicklungssenator Peter Strieder davon zu überzeugen, dürfte allerdings nicht leicht sein. Doch vielleicht möchte Strieder hier ja die Wahlchancen seiner Partei verbessern.

August Kleesiek

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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