Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Durch alle Schichten

Der verantwortungslose Umgang mit Klosprüchen

Schon von Beginn an war der Abgesang ein Lieblingsgenre dieser Zeitung: Bröckelnde Fassaden, illegale Clubs, besetzte Häuser, Off-Kultur-Biotope, traditionelle Brauereistandorte, goldfarbene Paläste – fast alles, was in dieser Stadt im Verschwinden begriffen oder schon abhanden gekommen ist, wurde ausgiebig betrauert. Neues, gar Sauberes, Intaktes ist den scheinschlag-Autoren per se verdächtig. Eine Hymne auf die aussterbenden Klosprüche darf dabei nicht fehlen.

Unzweifelhaft sind Klosprüche eine zivilisatorische Errungenschaft, die die Darm- oder Blasenentleerung sublimierend begleitet. Man denke nur an die aufwendig konservierten Kritzeleien neben Pompejis Plumpsklos, die den Archäologen mehr über den Alltag der antiken Stadt verraten als Steinklötze und Straßenbelag. Die Renovierung im „Clash" – dem „Ex-Ex" im Mehringhof – kommt daher fast einer Bücherverbrennung gleich, wurden doch „Ich-war-hier"-Bekenntnisse vernichtet, die zum Teil noch vom Anfang der Neunziger datierten und schon in etwa 2000 Jahren den pompejanischen Latrinen-Zeugnissen den Rang abgelaufen hätten. Jetzt sind in den Klos im Clash nur noch kryptische Tags und vorfabrizierte Aufkleber der Yorck59, des St. Pauli-Fanclubs und diverser antifaschistischer Grüppchen zu besichtigen. Selbst die überaus romantische, 20fache Liebeserklärung an Murat mitsamt den dringenden Bitten, damit aufzuhören, wurde beseitigt.

Im „Nemo" in der Oderberger Straße sind nicht nur die Wände des Schankraumes, sondern mittlerweile auch die des Aborts Kunsthandwerkern geopfert worden. Eine Unsitte, die der, verschönerungsgefährdete Brandwände professionellen Graffitikünstlern als Übungsfläche zu überlassen, in nichts nachsteht. Noch im letzten Jahr konnte man auf dem Männerklo im Nemo Zeuge einer leidenschaftlichen Diskussion werden, die den Beweis für die These antreten kann, daß nur auf Klowänden eine ursprüngliche, unmittelbare Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher Stände, Schichten und religiöser Weltanschauungen stattfindet: „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott." ­ „Ich ficke Gott." ­ „Ich fick den Satan." ­ „Fick Dich selbst, dann fickt Dich Gott."

Zum Glück gibt es noch einige wenige Etablissements, die entgegen dem um sich greifenden Hygienewahn darauf verzichten, kunstfertige, wohlbedachte und wortwitzreich formulierte Mitteilungen grob zu übertünchen oder mithilfe ökologisch bedenklicher Chemikalien zu zersetzen. Im „Schokoladen" in der Ackerstraße kann man schon seit Jahren die vorsichtigen ersten Schritte einer angehenden Lyrikerin in der brachliegenden Tradition und Qualität Erich Frieds bewundern: „Wir töten die Raupen und beklagen uns, daß es keine Schmetterlinge gibt." In der „Baiz" in der Torstraße fand ein orientierungsloser Backfisch den Raum, mittels Poesie die Mitwelt an seinen Gefühlen teilhaben zu lassen. Sein melancholisches Gedicht („Du stehst neben mir vor der Klippe. Wir wagen es nicht zu springen. Es gibt keinen Ort mehr, zu dem wir springen könnten. Keinen wirklichen Ort ... SPRING!") wurde sogar bald von anderen Gästen fundiert und sorgsam rezensiert.

Klosprüche wirkten schon immer der Zementierung angeblicher Geschlechterdifferenzen entgegen. Zwar neigen Frauen eher dazu, ihre Ansichten in Versform mitzuteilen, während Männer offenbar vor jeder inhaltlich gehaltvollen Äußerung ihr Revier mit einem Tag markieren müssen, doch weder in Bezug auf Quantität noch auf Themenwahl lassen sich wesentliche Unterschiede zwischen den schriftlichen Hinterlassenschaften in den Damen- und Herrentoiletten ausmachen. Nicht einmal, daß die Damen das stets virulente Thema der geschlechtlichen Liebe vernachläßigten, kann nach einer gründlichen Recherche noch behauptet werden. Auch staatsbürgerliches Engagement kann den Frauen nicht abgesprochen werden. Zwar beschwert sich eine Besucherin des Frauenklos der Baiz über das Fehlen politischer Verlautbarungen, doch prangt bereits neben dem Spiegel ein Aufruf zum Kampf gegen den US-Imperialismus und Elche. Vermutlich wollte die Kritikerin ihrer Geschlechtsgenossinnen schlicht ein wenig für den Klogang im „Bandito Rosso" in der Lottumstraße werben, als dessen Fan sie sich im Nachbarklo outet. In ihrer Lieblingsgaststätte finden sich tatsächlich konkretere politische Vorschläge wie Häuser statt Klos zu besetzen oder den eigenen Staat gegen die Anarchie umzutauschen.

Die Untersuchung von Klowänden kann sogar nützlich sein, um den Gestaltungswillen der hauptstädtischen Nachwuchsakademiker auszuloten: Im Erdgeschoß des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität finden sich bis auf zwei äußerst kryptische Anmerkungen überhaupt keine Klosprüche – nur weiße Kacheln und einige wenige Tags. In einer Universität mit fast 40000 Studenten! Welch eine Schande!

Georg Manolesco

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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