Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
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Lederkerle als Perverse und Faschisten?

Ein schwules Fetischtreffen gerät in die Fänge des Wahlkampfs und schlecht informierter Medien

Anfang September tummelten sich zum mittlerweile zweiten Mal beim „Folsom Fair Europe" in der Fuggerstraße in Schöneberg die vorrangig schwulen Leder-Fetischisten mit ihren Freunden – Skins, Lederkerle, Großstadt-Cowboys und die American-Highway-Patrol-Fraktion in trauter Einigkeit. Info- und Verkaufsstände lieferten alles, was das Herz des Fetischisten begehrt – von überdimensionierten Lederstiefeln über AIDS-Aufklärung bis hin zu den obligatorischen Freßständen. Zum Pflichtprogramm dürfte dieses Jahr neben einem Erinnerungsfoto mit einem Mr. Rubber oder Mr. Leather – je nach persönlicher Präferenz – auch der Stand vom Leather Museum and Archives Chicago gehört haben: Das weltweit einzige Fetischmuseum stellte ein paar Exponate aus seiner reichhaltigen Sammlung aus.

Der europäische Ableger des seit 30 Jahren in San Francisco stattfindenden Fetisch-Treffens ist auch längst kein Geheimtip mehr, seitdem die Berlin Touristikmarketing GmbH, einer der offiziellen Werbepartner des Folsom, mit dieser Veranstaltung für ein weltoffenes und tolerantes Berlin im Ausland wirbt. Im Gegensatz dazu stand die bundesweit aufgeputschte Lokalposse um das Grußwort des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), der dieses Fetischfest in einer Grußbotschaft an die Teilnehmer mit „Lebensfreude pur" in Verbindung brachte. Ein Grußwort von vielen, die Wowereit monatlich zeichnet, und an sich nichts Ungewöhnliches.

Dennoch bot es der Berliner CDU die Steilvorlage für eine Attacke, die sich für den Wahlkampf nutzen ließ. In einer Pressemitteilung vom 30. August verurteilten sie die Grußbotschaft für diese Veranstaltung, die „jenseits der guten Sitten" stehe und „an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten" sei. Und so wurde die Berliner Lokalposse von der Presse zu einem bundesweiten Skandal aufgebauscht – auf dem Rücken der Fetischszene, die in keinem der Beiträge selbst zu Wort kam. Das gesamte Spektrum von Boulevardpresse über die großen überregionalen Tageszeitungen bis hin zu Nachrichtenportalen wie Focus Online meldeten sich zu Wort, während im vergangenen Jahr lediglich die schwulen Szeneblätter dem Ereignis überhaupt Beachtung geschenkt hatten.

Die einen unterstützen den Kreuzzug der CDU gegen das „Sado-Maso-Fest" bzw. die „Extrem-Sex-Party" (Focus) oder suhlten sich in der Erkenntnis, daß die CDU ausgerechnet auf das Flugblatt eines KONKRET-Autors zurückgegriffen hatte. Denn der Auslöser des ganzen Skandals war ein von Peter Kratz vom Berliner Institut für Faschismusforschung (BIFF) verfaßtes Flugblatt. Er konstruierte Verbindungen zur rechten Szene, warf der BDSM-Szene Verharmlosung von Vergewaltigungen, Militarismus und puren Rassismus vor. Seine Kritik reichte von der von ihm als deutsch-national eingestuften Schärpe des Mr. Leather Germany („German Pride" ­ ein Äquivalent zu den Schärpen in anderen Ländern, wo ebenfalls Mr. Leather-Wahlen stattfinden) und seinem Spitznamen „Krieger", über das Comic-Sortiment eines der Werbepartner des Festes, in dem sich Neonazi-Pornocomics befinden sollen, bis hin zur Schwulenzeitschrift Box, die eine Anlaufstelle für rechte Schwule sei.

Kratz' Vorwürfe wurden von vielen Medien ungeprüft übernommen und bestimmten den klischeebeladenen, teils homophoben Diskurs der Öffentlichkeit über den Folsom Fair im Vorfeld. Von der Industrie- und Handelskammer und der Berlin Touristikmarketing GmbH, die als offizielle Werbepartner das Fest unterstützten und den Vorwürfen nachgingen, wurden die Anschuldigungen freilich für nicht haltbar befunden. Sie sahen keinen Grund, sich von diesem Fest zu distanzieren ­ genausowenig wie Klaus Wowereit und die Berliner SPD. Letztere versuchte sogar, das Ganze noch durch einen Wahlkampfstand in der Nähe des Folsom in politisches Kapital umzumünzen.

Camillo Rack

www.folsomeurope.de

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