Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Gewalttäter Sport"

Proben für die WM: Von Hooligans mit und ohne Uniform

Es hatte der gesellige Abschluß eines internationalen Fußballfan-Turniers werden sollen: die „Players Party" in der Diskothek Jeton Ende August, zu der alle Teilnehmer eingeladen waren. Doch es kam anders. Gegen 1.30 Uhr in der Nacht stürmten 105 Beamte von Sondereinsatzkommandos der Polizei die Diskothek, knüppelten Gäste nieder, fesselten sie und führten sie Stunden später ab. Für 156 Partygäste endete die Feier im Polizeigewahrsam.

Was die Polizei anfangs als großartigen Erfolg gegen „gewaltbereite Hooligans" gefeiert hatte, entwickelte sich bald zu einem Skandal, der nicht nur die Gerichte beschäftigen wird, die die 130 Strafanzeigen der Opfer zu behandeln haben. Inzwischen hat es im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses eine Anhörung zu den Ereignissen dieser Nacht gegeben. Auch der DFB interessiert sich für den Fall, und die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, die gegen die eigenen Kollegen ermittelt.

Erst standen die Fans des Oberligavereins BFC Dynamo am Pranger. Es habe sich um Hooligans gehandelt, so die Behauptung der Polizei ­ eine glaubwürdige Darstellung, denn die Anhänger des Berliner Lokalmatadors aus Hohenschönhausen haben seit vielen Jahren einen schlechten Ruf, an dem sie selbst nicht unschuldig sind. Bereits zu DDR-Zeiten lieferten sie sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, was damals jedoch weitgehend vertuscht wurde. Als die Wende kam und die Autorität der Polizei in eine schwere Krise geriet, eskalierte die Situation. Verunsichert und schlecht ausgerüstet, erschoß die Polizei 1990 den BFC-Fan Mike Polley.

In den Jahren darauf beruhigte sich das Verhältnis zwischen BFC und Polizei weitgehend. Doch seit ungefähr einem dreiviertel Jahr geht die Polizei wieder aggressiver gegen Fans vor. Ein BFC-Fan, der sich „Dreizehn" nennt, erzählt, daß der Auftakt zu der neuen Phase ein kleines Feuer gewesen sei, das Fans bei einem Spiel gegen Tennis Borussia Berlin entzündet hätten, worauf die Polizei unverhältnismäßig reagiert habe. Den Gewaltausbruch im Jeton sieht „Dreizehn" im Zusammenhang mit den Ereignissen im Umfeld eines Spiels des BFC gegen den Berliner Verein Yesilyurt zwei Wochen zuvor. Dort hätten Polizisten einen Mann wegen einer Bagatelle aus einer aggressiven Menge heraus festnehmen wollen. Der Versuch sei gescheitert und bei den folgenden Auseinandersetzungen seien 15 Polizisten verletzt worden. Es gebe Hinweise, daß das harte Vorgehen im Jeton eine Art Rache der Polizei gewesen sei.

Über die Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes in der Friedrichshainer Diskothek sind sich alle einig, es bleiben aber Fragen offen. Ein paar Besonderheiten rund um die Aktion lassen aufhorchen. Daß die Polizei nach dem Einsatz zunächst die Unwahrheit verbreitete, ist heute unbestritten: Es gab keinen Widerstand der Party-Gäste, und bewaffnet waren sie auch nicht. Warum aber waren Reporter des Springer-Blatts B.Z. sogleich am Tatort? Hatte die Polizei den Journalisten im Vorfeld Informationen zukommen lassen? Fotos von Partygästen, die in ihrem Blut lagen, waren jedenfalls bereits wenige Stunden später an jedem Kiosk zu sehen.

Angeblich habe die Polizei vor einer unübersichtlichen Situation gestanden und schnell handeln müssen. Doch warum war die Situation unübersichtlich? Normalerweise sei die Polizei über jede Bewegung der BFC-Fans informiert, meint „Dreizehn". Er berichtet, daß kein Treffen der Fans, sei es privat oder zu einem Spiel, der Aufmerksamkeit der Einsatzgruppe „Hooligan" entgehe; wer sich regelmäßig Spiele des BFC ansehe, werde zudem von der Polizei fotografiert. Die Fans hätten bezüglich der Party auf Offenheit gesetzt: Man habe der EG „Hooligan" im Vorfeld extra Bescheid gesagt.

Noch überhaupt nicht geklärt ist die Frage nach den Informationen, die die Planungsgrundlage für Polizeieinsätze darstellen. Gebetsmühlenhaft betont die Polizei, daß soundsoviele Gäste der Kategorie B (gewaltbereit unter Alkoholeinfluß) und C (gewaltsuchend) angehört haben sollen. Außerdem seien mehrere Festgenommene in der Datei „Gewalttäter Sport" registriert. Wer nach welchen Kriterien in diese Kartei aufgenommen wird, ist unklar, denn die Polizei hält die Art ihrer Informationsgewinnung geheim. Der Jeton-Einsatz sei eine Maßnahme zur „Gefahrenabwehr" gewesen, verlautet es aus der Pressestelle. Man habe Erkenntnisse gehabt, daß im Jeton gewaltbereite Hooligans für das Spiel gegen den 1. FC Union Berlin am nächsten Tag „vorglühen" wollten. Durch die Aktion sei Gewalt verhindert worden ­ eine Behauptung, die weder bewiesen noch widerlegt werden kann.

Bei so vielen Unklarheiten ist es kaum verwunderlich, daß man in Fan-Kreisen nun auch Verschwörungstheorien nicht abgeneigt ist. Der Fanbetreuer des BFC, Rainer Lüdtke, weist darauf hin, daß es in letzter Zeit vermehrt Einsätze der Polizei gegen Fußballfans gegeben habe: In Frankfurt am Main sei die Aufstiegsfeier der Eintracht-Fans gestürmt, in Mönchengladbach der Fanbeauftragte zusammengeschlagen worden. Bundesweite Zwischenfälle zeigen, daß es nicht nur um den BFC geht. Nach Lüdtkes Ansicht probt die Polizei bereits für die WM 2006.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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