Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Und ganz Berlin mit in den Abgrund

Der Niedergang der Wohnungsbaugesellschaften

Man kennt das: Die katastrophalen Zahlen eines Unternehmens werden offengelegt, Schuldenbeträge in Milliardenhöhe schwirren durch aufgeregte Medienberichte, dann wird ein Schuldiger gesucht. In diesem Fall heißt das Unternehmen Wohnungsbaugesellschaft Berlin Mitte (WBM). Folgt man den Berichten der Berliner Presse, hört es sich so an, als habe die WBM panikartig Wohnungen verkauft, um Geld in die Kassen zu bekommen, aber dennoch immer größere Verluste gemacht – 56 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Ursachen seien aufwendige Modernisierungen von Wohnungen, schlechte Mietenentwicklung, riskante Projekte wie die Sanierung von Kongreßhalle, Rathauspassagen und Haus des Lehrers – und Fehler im Management. Dann endlich sei es dem Senat zu viel geworden, er habe die alte Geschäftsführung entlassen und eine neue bestellt. Zu spät, wie es scheint, denn jetzt droht die Insolvenz. Die WBM ist nicht das einzige Schmuddelkind in der Branche. Alle sechs großen Wohnungsunternehmen des Landes Berlin haben unappetitliche Schuldenberge aufgehäuft: neun Milliarden Euro – laut Thilo Sarrazin. Am besten, der Senat trennte sich von seinen Wohnungsunternehmen, schließt ein Zeitungsbericht über das Elend. Und wer sind am Ende die Leidtragenden? Die Mieter. Die Steuerzahler.

Richtig an der Geschichte ist, daß Mieter und Steuerzahler wahrscheinlich die Folgen des städtischen Wirtschaftens mit den Wohnungen zu tragen haben. Der Rest ist zwar nicht vollkommen falsch, jedoch merkwürdig verkürzt. Die Logik der Vorgänge ist etwa die eines Bauern, der erst neun von zehn seiner Lastesel verkauft ­ vielleicht, um mit dem Erlös den Hof zu renovieren ­ und dann beschließt, den letzten seiner Esel zu töten, weil das dumme Tier es nicht mehr schafft, die vielen Säcke zu schleppen. Der Bauer ist der Senat. Die Esel die Wohnungsbaugesellschaften.

Vor ungefähr zehn Jahren begann die damalige Finanzsenatorin im CDU-SPD-Senat, Annette Fugmann-Heesing, die damals noch landeseigene Wohnungswirtschaft zu sogenannten In-sich-Geschäften zu bewegen. Ein In-sich- Geschäft funktioniert so: Ein Wohnungsunternehmen kauft ein anderes ­ und der Erlös fließt an das Land Berlin. So verschwinden einerseits die schlechten Zahlen schwächelnder Unternehmen aus der Gesamtbilanz, andererseits kann das Land Einnahmen verbuchen.

So erwarb seinerzeit als erstes die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land die Wohnungsunternehmen von Treptow und Hellersdorf, die Degewo kaufte die Wohnungsbaugesellschaften aus Köpenick und Marzahn, die GEWOBAG die WIR und die WIP ... und so fort. Immer flossen die Mittel der landeseigenen Wohnungsunternehmen in die landeseigene Haushaltskasse, und immer kaufte der Stärkere den Schwächeren, wobei er selbst ein Stück schwächer wurde. Als die WBM die BEWOGE erwerben mußte, gab die Geschäftsführung zu Bedenken, daß sie eigene Grundstücke würde beleihen müssen, um den schlechten Kauf zu verkraften.

Im Jahr 2000 rechnete die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Barbara Oesterheld, dem Abgeordnetenhaus vor, daß der Senat bereits 3,1 Milliarden Mark aus den Unternehmen herausgezogen hätte. Als „verdeckte Kreditaufnahme" rügte der Rechnungshof das Wirtschaften von einer Hosentasche in die andere.

Nun kann es sein, daß die abenteuerliche Art der Haushaltskonsolidierung Berlins der Stadt abermals auf die Füße fällt. Die sich abzeichnende Krise wurde bereits mit einem zweiten Bankenskandal verglichen. Mit Schulden von 688 Millionen Euro ist heute die Gesobau das einzige Wohnungsunternehmen, das weniger als eine Milliarde Euro Verbindlichkeiten hat. Die Degewo weist in ihrem jüngsten Geschäftsbericht darauf hin, daß sie ab dem Jahr 2008 wegen der Belastung aus der Übernahme der WBG Marzahn 130 Millionen Euro benötigt, wolle sie das Unternehmen sanieren. Diese Mittel müßten wiederum aus der Landeskasse fließen. Es sieht ganz danach aus, als habe man sich einen Bärendienst erwiesen, denn wenn die Wohnungsbaugesellschaften ihre Schuldendienste nicht bezahlen können, bürgt das Land Berlin. Und wenn alle Stricke reißen, geraten ihre Hauptgläubiger in Schwierigkeiten, die landeseigene Investitionsbank Berlin und die Bankgesellschaft Berlin.

Schade nur, daß die dumme Posse so schwerwiegende Folgen hat. Denn die Wohnungsbaugesellschaften wurden, als sie ihren öffentlichen Auftrag noch wahrnehmen konnten, durchaus gebraucht. Gerade im Bezirk Mitte hat sich etwa die WBM in den neunziger Jahren tatsächlich dafür eingesetzt, daß Einkommensschwächere aus dem Bezirk trotz des Runs auf die Wohnungen im angesagten Mitte nach Möglichkeit bleiben konnten. Sie sorgte für das Bestehen von Hausprojekten und bevorzugte ärmere Wohnungsbewerber aus dem Bezirk vor Bewerbern von außerhalb.

An so etwas ist heute kaum mehr zu denken. Nicht nur, daß die Bestände der Wohnungsgesellschaften insgesamt immer weiter zusammenschmelzen ­ weil man ja verkaufen muß, um die Bonität des Unternehmens zu retten. Von den rund 450000 Wohnungen im Jahr 1999, die nach sozialen Kriterien belegt werden konnten, sind heute noch 277000 übrig. Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung werden aktuell 270000 Wohnungen benötigt, um soziale Härten abzufedern ­ viel Spielraum für weiteres Schrumpfen bleibt da nicht.

Doch schon jetzt sind die Gesellschaften mit ihren verbleibenden Beständen kaum mehr in der Lage, für eine Mischung von Arm und Reich zu sorgen. Denn ihnen gehören zunehmend nur noch die Ladenhüter des Wohnungsmarkts. Unter dem Druck zu verkaufen, veräußern sie ihre guten Stücke zuerst. Ausländische Investoren fragen derzeit verstärkt Berliner Wohnungen aus öffentlichen Beständen nach. Beliebt sind „innerstädtische Lagen" (Mietermagazin 9/05). Es hat sich herumgesprochen, daß man aus Notverkäufen Schnäppchen schlagen kann.

Den Schmuddelkindern bleiben die Schmuddelwohnungen. Und diese Wohnungen werden nicht mal günstig sein. Denn man muß ja die Unternehmen sanieren ­ bevor sie Pleite gehen. Und die ganze Stadt mit in den Abgrund reißen.

Tina Veihelmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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