Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Tabula rasa für Palast-Theater

Sie waren angetreten, um eine historische Entscheidung rückgängig zu machen - den Fehler auszumerzen und die Geschichte für alle sichtbar wieder geradezurücken. Der „Palast", politisch vergiftet als Symbol des kollabierten DDR-Staats, hatte sich, krebserregend, diskreditiert. Die Schloß-Lobby beeindruckte mit einer bildgewaltigen Kampagne, die ihren Höhepunkt im theatralischen Vorhänge-Schloß fand. Wer läßt sich nicht von Bildern einer hochherrschaftlich-altehrwürdigen Historie beeindrucken, verglichen mit einer schäbig dahingewürfelten Gegenwart. Die paar PDSler, die die Kiste noch mit Transparenten bewaffnet erklommen, lieferten geradezu eine Bestätigung für die bürgerliche Meinung: Der Palast muß weg, das Schloß muß her.

Doch die Mühlen der Politik mahlen langsam. Als die notwendigen Beschlüsse erwirkt waren und man sich trotz negativ ausgefallener Machbarkeitsstudie an die Umsetzung machen wollte, fanden die Städtebau-Wilhelministen und Tourismus-Technokraten sich in einer umgekrempelten Landschaft wieder: der Staat hochverschuldet, die Stadt pleite, die Stadtmitte immer noch voller Brachflächen und leerstehender Büropaläste. Die Menschen erzürnt über Hartz IV oder die Benzinpreise statt nach Schlössern zu rufen. Staatsoberhäupter aus eigener Kraft desertierend statt sich als Herrscher von Gottes Gnaden einzurichten.

Während dem steinernen Luftschloß medial die Luft ausgeht, präsentiert das Trend-Berlin eine bestechend pragmatische Utopie: Aus dem, was die ökonomische Krise als Abfall abwirft, lassen sich in Handarbeit schicke Lifestyle-Goodies basteln und verhökern. Zur Not auch aus Brachflächen und Palast-Ruinen. Jeder darf sich ganz subversiv in Szene setzen und ein bißchen als Location-Scout fühlen. Die Herbeiströmenden bescheinigen nicht nur ökonomischen Erfolg, sie unterwandern dort, wo es ganz andere Pläne mit den okkupierten Orten gab, nebenbei auch die hochoffizielle Stadtentwicklungspolitik.

Mittlerweile droht die Begeisterung über das Volkspalast-Konzept vom Feuilleton über den Lokal- auf den Wirtschaftsteil überzugreifen. Angesichts haushälterischer Hiobsbotschaften über geradezu exponentiell wachsende Kostenrechnungen für die Wiederauferstehung des Schlosses sind die Verlautbarungen des Berliner Senats, man werde unbeirrt weitermachen, weit mehr als ein Pfeifen im Walde: Denn wenn der Palast so schnell wie möglich abgerissen, auf dem Schloßplatz Tabula rasa bzw. grüne Wiese geschaffen wird, kann immerhin verhindert werden, daß die Zügel vollends aus den Händen der Zuständigen gleiten. Ob das „Humboldt-Forum" ­ ein Museumskeller mit angeschlossenem Parkhaus, Grand Hotel und Fassaden-Inszenierung ­ dann noch zustandekommt, erscheint eher fraglich. Doch immerhin bliebe die Entscheidung über die Gestaltung dieses repräsentativen Orts dort, wo sie bleiben soll. Wo kämen wir denn hin, wenn irgendwelche dahergelaufenen Initiativen...?

Wer allerdings beim Beharrungsvermögen der Abriß-Wächter an provinzielle Politik denkt, möge einen Blick auf andernorts weit erfolgreichere Schloß-Strategien werfen. Zum Beispiel nach Braunschweig, wo ein eiserner politischer Wille zum Wiederaufbau eines 1960 lieblos niedergerissenen Schlosses besteht. Statt sich jahrelang mit Finanzierungskonzepten auseinanderzusetzen, hat man dort das Grundstück samt Schloßgarten kurzerhand einem privaten Investor gegeben, der darauf inzwischen ein Einkaufszentrum mit vorgehängter Schloßfassade baut. Quasi als Feigenblatt sollen auch die Stadtbücherei und das Standesamt einziehen. Immerhin bekommt die Stadt ihr Schloß-look-alike, der Investor seinen Traum-Standort, und die Braunschweiger können sich beim Shoppen nach vergangenen Zeiten sehnen.

In Berlin auf dem Schloßplatz soll es nach dem Abriß erst mal nur eine grüne Wiese geben. Die läßt sich vielleicht nicht so vielseitig nutzen wie der alte Palast, doch sicherlich wird den Location-Junkies auch dazu etwas einfallen. Das sollte ihnen auch, denn schon so manche grüne Wiese wurde nahezu über Nacht von einem glänzenden Konsumwürfel erschlagen.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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