Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Tradition und Moderne, Schönheit und Grausamkeit

In den Hackeschen Höfen präsentiert sich Sardinien als Filmland

Archaisch, rückständig, patriarchal, ein Volk von Schafhirten und Bauern – so lauten weitverbreitete Klischees über Sardinien, das sich in seiner Abgeschiedenheit eine Art ursprüngliches Paradies erhalten konnte. Doch bei näherem Hinsehen offenbaren sich tiefe Risse in diesem Bild. Die ökonomische Krise zwingt die Menschen seit Jahrzehnten zur Emigration auf das italienische Festland oder ins Ausland. Sardinien gehört zu den am stärksten von der Militarisierung betroffenen Regionen Italiens und wahrscheinlich sogar Europas. An der Costa Smeralda gibt sich der internationale Jetset ein Stelldichein, auch Ministerpräsident Berlusconi hat hier Villa und Yacht, um sich von seinen anstrengenden Regierungsgeschäften zu erholen.

Gleichzeitig spielt ihre kulturelle und sprachliche Identität für die Sarden eine besondere Rolle und stellt in dieser Umbruchssituation eine Art von gemeinsamem Bezugspunkt dar. So verwundert es auch nicht, daß es innerhalb der italienischen Filmgeschichte eine eigenständige sardische Traditionslinie gibt, in deren Rahmen die Auseinandersetzung mit der Kultur und Identität Sardiniens steht und als deren bekanntestes Beispiel vielleicht Padre padrone (Mein Vater, mein Herr) von den Brüdern Taviani aus dem Jahre 1977 zu nennen wäre.

Die Zusammenarbeit des in Berlin ansässigen Sardischen Kulturzentrums mit den Kinos in den Hackeschen Höfen ermöglicht nun einem breiteren Publikum die Bekanntschaft mit fünf in jüngerer Zeit entstandenen Filmen sardischer Regisseure ­ Filme, die durchweg international prämiert wurden, aber den Weg in die Kinos dennoch kaum fanden.

Vom 26. Oktober an wird fünf Wochen lang jeweils um 20 Uhr zu einem „Sardischen Mittwoch" unter dem Namen „Cadenas" (Sardisch für Kette) eingeladen. Hervorzuheben ist dabei, daß die Vorführungen in Anwesenheit der Regisseure stattfinden, wodurch die Möglichkeit gegeben ist, über den Film, aber auch über Arbeits- und Produktionsbedingungen sardischer Filmschaffender ins Gespräch zu kommen. Im Mittelpunkt aller Filme steht die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität Sardiniens zwischen der Bewahrung der althergebrachten Traditionen und deren Aufgabe zugunsten der Modernisierung, deren Widersprüche sich oftmals extrem zwischen schlichter Schönheit auf der einen Seite und wilder Grausamkeit auf der anderen artikulieren.

Eröffnet wird die Reihe am 26. Oktober mit Arcipelaghi von Giovanni Columbu: In einem sardischen Dorf wird ein kleiner Junge Zeuge eines Pferdediebstahls. Die Diebe werden geschnappt, sie glauben, der Junge hätte sie verraten. Als sie ihm eine Lektion erteilen wollen, bringen sie ihn dabei um. Der Film zeigt, wie sich das Leben der Dorfgemeinschaft durch diesen Mord verändert.

Am 9. November wird La Destinazione von Piero Sanna gezeigt, die Geschichte von Emilio, der als junger Carabiniere nach Sardinien versetzt wird und versucht, sich der sardischen Realität zu nähern, letztlich aber daran scheitert. Ballo a tre passi von Salvatore Mereu steht am 16. November auf dem Programm: In verschiedenen Episoden wird hier die Begegnung zwischen Abgeschiedenheit und moderner Lebenswelt thematisiert. Eine Woche später, am 23. November, gibt es Piccola pesca zu sehen. Im Zuge der Aufrüstung und Militarisierung im Kalten Krieg sind weite Teile der Küste und des Meeres zu militärischen Zonen erklärt worden. Der Film zeigt den Kampf der Fischer um „ihr" Meer, das für sie Lebens- und Arbeitsgrundlage darstellt.

Den Schlußpunkt der Reihe setzt am 30. November der Film Sonos 'e Memoria von Gianfranco Cabiddu, der eine Synthese zwischen Tradition und Moderne der besonderen Art anbietet. Der Regisseur montierte Archivmaterial, das in Schwarzweiß den sardischen Alltag in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts dokumentiert. In enger Zusammenarbeit mit dem sardischen Jazztrompeter Paolo Fresu entstand dazu eine Filmmusik, die neben dem Jazz den besonderen musikalischen Traditionen Sardiniens Rechnung trägt, insbesondere in Hinblick auf den Einsatz der Stimmen und traditioneller Instrumente wie der Launedda. Die Reihe „Cadenas" bietet somit die einmalige Gelegenheit, sich einen Einblick in das aktuelle Filmschaffen Sardiniens zu verschaffen ­ eine Gelegenheit, die sich so schnell nicht wieder ergeben dürfte.

Carola Köhler

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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